Tag & Nacht




Manchmal braucht es den Druck der Straße und die Wut einer ganzen Gesellschaft, bis eine Regierung endlich handelt. Frankreich hat lange zugesehen, wie sich an der Spitze eine Parallelwelt herausbildet: Milliardäre, die durch komplexe Konstrukte ihre Steuerlast minimieren, während die Mittelschicht immer neue Belastungen schultern muss. Nun kündigt Premierminister Sébastien Lecornu – einer der engsten Vertrauten Macrons und nun in der Haushaltsfrage zum zentralen Akteur avanciert – an, dass die Reichsten tatsächlich stärker in die Pflicht genommen werden sollen. Endlich!

Es ist höchste Zeit, dass jemand erkennt, dass der soziale Frieden nicht auf Dauer gewährleistet werden kann, wenn 1.800 Steuerhaushalte mit gigantischen Vermögen fast nach Belieben ihre Abgaben steuern, während Millionen Franzosen jeden Cent zweimal umdrehen. Die Taxe Zucman mag in ihrer rohen Form handwerklich angreifbar sein – aber sie hat eines geschafft: Sie hat das Tabu gebrochen, über die systematische Unterbesteuerung der Ultrareichen zu sprechen.

Natürlich, die üblichen Warnungen hallen wieder durch die Chefetagen: „Standortgefährdung“, „Exil der Talente“, „Investitionshemmnis“. Man kennt das Mantra. Es wird so lange wiederholt, bis man es fast glaubt. Aber Hand aufs Herz: Wer will uns wirklich weismachen, dass Bernard Arnault oder die Familien Mulliez, Dassault oder Bettencourt ihr Imperium einfach ins Ausland verlagern würden? Frankreich ist ihr Markt, ihre Basis, ihr Symbol, ihre Heimat. Die Drohung mit der Kofferpackerei ist nicht mehr als ein rhetorisches Erpressungsinstrument – durchsichtig und unverschämt.

Die Wahrheit ist: Eine Gesellschaft, die sich selbst noch ernst nehmen will, braucht einen fairen Lastenausgleich. Und fair heißt eben nicht, dass Krankenschwestern, Lehrer und kleine Selbständige immer mehr abführen, während Superreiche sich hinter Holdings verstecken. Wenn Lecornu und Macron nun tatsächlich ein Modell entwickeln, das Dividenden aus diesen Konstrukten konsequent mit mindestens 20 Prozent belegt, wäre das ein Signal der Gerechtigkeit – und ein längst überfälliger Schlag gegen die organisierte Steuervermeidung.

Wird es reichen? Nein, noch nicht. Aber es wäre ein Anfang. Ein Anfang, der zeigt: Die Politik kann, wenn sie will, aus der Komfortzone der Reichenfreundlichkeit ausbrechen. Ein Anfang, der beweist: Wir sind nicht ohnmächtig gegenüber einer Handvoll Milliardäre. Ein Anfang, der Mut macht.

Darum: Weiter so, Herr Lecornu! Lassen Sie sich nicht einschüchtern – weder von Wirtschaftslobbys noch von jenen politischen Kräften, die reflexhaft jeden Schutzwall für das große Geld hochziehen. Die Mehrheit der Bürger steht hinter Ihnen. Was jetzt zählt, ist Durchhaltevermögen – und der Wille, endlich eine Wende hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit einzuleiten.

Ein Kommentar von MAB

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