Ach Frankreich, du Land der Revolution, der Menschenrechte und der liberté. Was ist nur los mit dir? Während du dir auf die Trikolore schreibst, für Gleichheit und Gerechtigkeit zu kämpfen, stampfst du ganz nonchalant das Wahlrecht tausender Gefangener ein – und das mit stolz geschwellter Brust.
Jetzt mal ehrlich: Was ist das für ein Demokratieverständnis?
Da wurde 2019 – mit viel Mühe und politischem Feingefühl – endlich ermöglicht, dass auch Menschen hinter Gittern ihre Stimme per Briefwahl abgeben dürfen. Ein kleiner, aber feiner Fortschritt für eine Gruppe, die in unserer Gesellschaft ohnehin schon kaum gesehen wird. Und jetzt? Zack, soll dieser Fortschritt wieder kassiert werden – weil’s angeblich logistisch zu kompliziert ist. Oder weil in ein paar Kommunen die Gefängnisstimmen plötzlich das Wahlergebnis verändern könnten.
Ja hallo – nennt man das nicht Wählen?
Wenn das Ergebnis durch neue Stimmen anders ausfällt, dann liegt das nicht an einem Fehler im System, sondern daran, dass mehr Menschen mitbestimmen. Das ist Demokratie in Reinform, Leute! Aber nein, lieber versucht man mit bürokratischem Hokuspokus das Ganze wieder zurückzudrehen. Begründung? Zu viel Aufwand, zu viele Stimmen, zu wenig Kontrolle.
Mal ganz zynisch gefragt: Wären diese Stimmen mehrheitlich konservativ oder bürgerlich, würde dann auch so ein Theater gemacht?
Denn genau darum geht’s hier doch im Kern: Kontrolle. Man fürchtet sich vor dem politischen Willen einer marginalisierten Gruppe, die – oh Wunder – nicht so wählt, wie es dem Establishment passt. Dabei hat niemand das Recht, irgendwem das Wählen zu erschweren, nur weil einem das Ergebnis nicht schmeckt. So funktioniert Demokratie nicht. Und wenn doch, dann sollten wir das Kind beim Namen nennen: Demokratie auf Abruf – und nur für bestimmte Bürger.
Die Alternativen, die jetzt angeboten werden – Vollmachten, Ausgangserlaubnisse – sind reine Augenwischerei. Wer schon mal mit Justizbehörden zu tun hatte, weiß: Das dauert Wochen, geht durch zig Hände und endet meist im Papierkorb. Die meisten Gefangenen werden so de facto vom Wählen ausgeschlossen – und genau das ist auch das Ziel.
Es ist eine Schande. Und ein Symbol für eine Gesellschaft, die sich ihrer Verantwortung gegenüber ihren schwächsten Mitgliedern entledigen will. Nach dem Motto: „Sollen die doch erstmal wieder brav sein, bevor sie wieder mitreden dürfen.“
Wer so denkt, hat das Prinzip von Bürgerrechten nicht verstanden. Die gelten immer. Auch – und gerade – dann, wenn es unbequem ist. Wer Menschen inhaftiert, darf ihnen nicht auch noch die Stimme nehmen. Sonst sind wir nicht besser als jene Systeme, von denen wir uns ach so gerne abgrenzen.
Frankreich hat hier gerade die Chance, zu zeigen, wie ernst es die Demokratie nimmt. Schützt es sie nicht, dann verkommt das ganze Gerede von Gleichheit und Freiheit endgültig zur hohlen Phrase.
Von C. Hatty
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