Man muss Cédric Jubillar nicht mögen. Man darf ihn sogar unsympathisch finden, seine Aussagen widersprüchlich, sein Auftreten befremdlich. Doch genau hier beginnt das Problem: Seit wann reicht Antipathie für eine Verurteilung wegen Mordes?
Der Fall Jubillar ist längst nicht mehr nur ein Gerichtsverfahren – er ist ein Stimmungstest für unseren Rechtsstaat. Und der fällt erschreckend aus.
Seit vier Jahren ist dieser Mann in der öffentlichen Arena zur Zielscheibe geworden. Er ist der „perfekte“ Schuldige: merkwürdig, emotional unnahbar, mit einem privaten Umfeld, das Schlagzeilen schreibt. Die Medien lieben solche Figuren – weil sie sich so schön skandalisieren lassen. Aber Gerichte sollten nicht nach Gefühl urteilen.
Was fehlt? Alles Wichtige.
Kein Geständnis. Kein Tatort. Keine Leiche. Kein Motiv, das wirklich trägt. Dafür: Spekulationen, belastende Indizien, eine beunruhigende Persönlichkeit – und ein ganzes Land, das längst sein Urteil gefällt hat.
Und jetzt stehen Geschworene vor der Frage: Reicht das? Reicht ein Puzzle aus Indizien, aus Charakterdeutungen und Verdachtsmomenten, um einen Mann für drei Jahrzehnte ins Gefängnis zu schicken?
Wenn das die neue Schwelle für Gerechtigkeit ist, dann gnade uns allen.
Das Prinzip, das kippt
„Im Zweifel für den Angeklagten“ – dieser Satz ist nicht nur ein juristischer Leitsatz, er ist ein zivilisatorischer Eckpfeiler. Wer ihn aufweicht, macht den Weg frei für ein gefährliches Terrain: Urteile aus Bauchgefühl, aus öffentlichem Druck, aus emotionaler Überzeugung.
Natürlich ist der Fall tragisch. Natürlich schreit der ungeklärte Verbleib von Delphine Jubillar nach Antworten. Doch eine Verurteilung ist kein Trostpflaster für eine ungelöste Geschichte. Eine Verurteilung muss auf Beweisen beruhen, nicht auf Bedürfnis.
Der Preis einer symbolischen Gerechtigkeit
Was wir gerade erleben, ist die Aufladung eines Mordprozesses mit gesellschaftlichen Erwartungen. Da geht es nicht mehr nur um einen Tatnachweis – es geht um ein Gefühl der Ordnung, um eine Art moralischen Schuldausgleich.
Aber das Recht ist keine Bühne für kollektive Katharsis.
Wenn wir beginnen, uns mit „Es wird schon stimmen“, oder „Was soll sonst passiert sein?“ zufriedenzugeben, haben wir den Rechtsstaat leise beerdigt. Und irgendwann könnte es jeden treffen – nicht, weil er schuldig ist, sondern weil er sich schlecht verteidigt, unbeliebt ist oder ins Bild passt.
Fazit? Nein. Warnung.
Wenn dieser Prozess mit einer Verurteilung endet – auf dieser Beweislage –, dann ist das nicht nur ein Schuldspruch gegen Cédric Jubillar. Es ist ein Schuldspruch gegen ein Prinzip, das uns alle schützen soll.
Man muss nicht an seine Unschuld glauben. Aber wer nicht mehr an den Zweifel glaubt, der glaubt auch nicht mehr an Gerechtigkeit.
Ein Kommentar von Andreas M. Brucker
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