Ich stand letztes Jahr im Sommer auf einer kleinen Brücke über der Vézère. Alles war friedlich. Das Wasser plätscherte ruhig dahin, ein paar Libellen tanzten über der Oberfläche, und unten am Ufer saßen zwei ältere Herren mit Strohhüten und Angeln. Die Dordogne war ein Versprechen – auf Ruhe, Natur, ein Stück unaufgeregtes Frankreich.
Heute treiben in diesen Fluten keine Libellen mehr, sondern Mülltonnen. Autos. Erinnerungen.
Die Straßen von Montignac-Lascaux? Unpassierbar. Die Vézère hat längst das getan, was sie sich jahrzehntelang verkniffen hat: Sie ist über die Ufer getreten, ohne Rücksicht, ohne Pause. Und während das Wasser steigt, sinkt das Vertrauen. In unsere Infrastruktur. In politische Versprechen. In die Idee, dass das schon wieder vorbeigeht.
Denn wer glaubt das eigentlich noch?
War früher wirklich alles besser – oder nur besser geschützt? Es häufen sich die Momente, in denen die Natur ihre Kraft zeigt. Nicht als sanfte Mahnung, sondern als donnernde Ansage. Und wir? Wir sind oft erschreckend schlecht vorbereitet. Nicht, weil es keine Warnungen gab. Sondern weil wir gehofft haben, dass es nicht uns trifft. Nicht diesmal.
Aber diesmal ist es eben die Dordogne.
Ein Ort, den viele kennen als Ferienidyll, mit Wein, Gänsestopfleber und mittelalterlichen Märkten. Und jetzt? Jetzt steht das Wasser in den Kellern. Die Flüsse Vézère, Loyre, Auvézère und Céou haben ihre Grenzen vergessen. Es regnet weiter. Menschen verlassen ihre Häuser. Straßen sind zu Bächen geworden. Das Leben steht still.
Und da ist sie wieder – diese Mischung aus Wut, Ohnmacht und tiefer Traurigkeit.
Wut darüber, dass wir immer noch diskutieren, ob das Klima sich verändert, obwohl es uns längst anschreit. Ohnmacht, weil selbst gut gemeinte Maßnahmen oft Jahre brauchen, bevor sie überhaupt spürbar werden. Und Traurigkeit, weil Existenzen untergehen. Weil Erinnerungen davongetragen werden, als wären sie nichts weiter als Treibgut.
Aber vielleicht ist es genau das, was uns wachrütteln muss. Die Erkenntnis: Das hier ist nicht das „große Jahrhunderthochwasser“, das irgendwann wieder vergessen ist. Es ist das neue Normal. Das neue Jetzt.
Können wir da überhaupt noch gegensteuern?
Die Antwort ist nicht bequem. Ja, wir können. Aber es wird wehtun. Es wird Geld kosten. Es wird Streit geben – zwischen denen, die sofort handeln wollen, und denen, die lieber abwarten. Zwischen Stadt und Land. Zwischen Wissenschaft und Ignoranz.
Aber wenn wir nichts tun, zahlen wir doppelt. Mit zerstörten Häusern. Mit verlorenen Ernten. Mit zerplatzten Träumen.
Und trotzdem: Es gibt Hoffnung. In jeder Gemeinschaft, die Sandsäcke schleppt. In jedem Jugendlichen, der sich in der Schule für Klimaschutz engagiert. In jedem Bürgermeister, der nicht nur redet, sondern endlich umsetzt. Hoffnung ist nicht naiv – sie ist überlebenswichtig.
Die Dordogne steht unter Wasser. Ja. Aber sie ist auch ein Spiegel. Sie zeigt uns, was wir verlieren könnten – und was wir noch retten können, wenn wir endlich hinschauen.
Also, was jetzt?
Ignorieren und hoffen, dass die Sonne bald scheint? Oder anpacken, aufbauen, verändern?
Die Entscheidung liegt bei uns. Nicht morgen. Jetzt.
Ein Kommentar von C. Hatty
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