Tag & Nacht


Der Winter im französischen Zentralmassiv beginnt nicht mit Schneefall vom Himmel – sondern mit der Arbeit von zehn Maschinen, die Tag und Nacht laufen. In Super-Besse, einem Wintersportort im Département Puy-de-Dôme, liegt der Schnee schon im Herbst – allerdings frisch aus dem Kühlaggregat, künstlich erzeugt und strategisch gelagert.

Was auf den ersten Blick nach moderner Effizienz klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als symbolträchtiger Kampf um Identität, Überleben und touristische Relevanz in Zeiten des Klimawandels.

Eis aus der Steckdose

Die Szene wirkt surreal: Während draußen milde Herbsttemperaturen herrschen, verwandeln großdimensionierte Gefrieranlagen Wasser in kleine Eiskristalle. Diese Schneepailletten schießen durch dicke Schläuche, landen auf Halden und werden dort gesammelt – sorgfältig abgeschirmt, um so wenig wie möglich zu schmelzen. Ziel ist es, drei Pisten rechtzeitig zur Weihnachtszeit eröffnen zu können.

Der technische Aufwand ist enorm – genauso wie der finanzielle. Rund drei Millionen Euro hat die Gemeinde in das System investiert. Eine Summe, die für viele Bürgerinnen und Bürger erst mal nach Luxus klingt. Doch für Bürgermeister Lionel Gay ist sie notwendig: „Wenn wir den Skibetrieb retten, retten wir unsere Region“, erklärt er mit Pathos. Die Rechnung scheint einfach: Der Skitourismus bringt Geld – und mit diesem Geld könne man langfristig die notwendige ökologische Transformation finanzieren.

Zwischen Fortschritt und Verzweiflung

Die Meinungen vor Ort sind geteilt. Manche Besucher zeigen sich beeindruckt, andere irritiert. Ein Tourist bringt es auf den Punkt: „Man redet nicht gern über die Umwelt, aber irgendwas müssen sie tun. Die Leute sollen ja kommen.“ Zwischen ökonomischer Notwendigkeit und ökologischem Bauchweh pendelt die Stimmung.

Die Betreiber der Station setzen derweil auf Planungssicherheit. Für sie bedeutet früher Kunstschnee: feste Saisonstarts, sichere Arbeitsverträge, besser planbare Abläufe. Ein Skilehrer und Ladenbesitzer sagt, der frühzeitige Pistenstart ermögliche ihm, rechtzeitig Personal einzustellen – gerade in der schwierigen Vorweihnachtszeit, in der jeder Tag zählt.

Doch in der öffentlichen Debatte schwingen auch Zweifel und Kritik mit. Die Umweltschutzorganisation France Nature Environnement spricht von einer „energetischen Absurdität“. Die Schneemaschinen, so heißt es, verbrauchten innerhalb von zwei Monaten so viel Strom wie 300 Haushalte im gesamten Jahr – ein Vergleich, der hängen bleibt wie eine Anklage.

Tourismus unter Druck

Super-Besse liegt auf 1.300 Metern Höhe – das ist nicht viel, wenn man auf verlässlichen Schneefall angewiesen ist. Wie viele französische Mittelgebirgsstationen steht der Ort vor einem fundamentalen Problem: Der Klimawandel verschiebt die Schneesicherheit immer weiter nach oben.

Klar ist: Wer sich als Wintersportort nicht neu erfindet, wird mittelfristig aus dem Spiel genommen. Schon heute hat Super-Besse sein Angebot diversifiziert. Es gibt Sommerrodelbahnen, Mountainbike-Strecken und zahlreiche Familienevents. Aber trotz aller Bemühungen erwirtschaftet der Skibetrieb noch immer rund zwei Drittel des gesamten Umsatzes. Wer da von der „Post-Ski-Zeit“ spricht, tut das auf dünnem Eis.

Innovation oder Illusion?

Der Bürgermeister verweist auf den Wandel, den die Station bereits durchlaufe: 15 bis 20 neue Aktivitäten seien eingeführt worden – finanziert durch Einnahmen aus dem Skitourismus. Für ihn ist die künstliche Beschneiung kein Rückschritt, sondern ein notwendiger Zwischenschritt. Keine Flucht nach vorn, sondern ein Mittel zum Zweck.

Doch bleibt die Frage: Wie lange lässt sich dieses Modell aufrechterhalten? Wie viele Winter kann man noch kühlen, bevor die Kosten – ökonomisch wie ökologisch – überwiegen?

Ein Skiort wie Super-Besse steckt in einem Dilemma, das symptomatisch ist für viele Regionen Europas: Zwischen Tradition und Transformation, zwischen Erwartungen der Besucher und Anforderungen der Natur.

Ein Wintersportort, der seine Pisten mit Strom statt Schneefall präpariert, ist nicht nur ein technisches Experiment – sondern ein gesellschaftliches.

Autor: Andreas M. Brucker

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!