Es gibt Momente, in denen eine Insel zum Sinnbild für Verletzlichkeit wird. La Désirade, dieses kleine französische Eiland östlich von Guadeloupe, erlebt gerade genau so einen Moment. Seit Wochen wälzen sich braune Algenteppiche unaufhaltsam an ihre Küsten. Sargassum – ein Name, der hier längst Albträume auslöst.
Eine Invasion, wie sie die Insel noch nie gesehen hat
Die Lage ist dramatisch. Der Hafen von La Désirade ist so stark verstopft, dass keine Fähre mehr anlegen kann. Die Reederei Comadile hat ihre Verbindungen mit Saint-François eingestellt. Sie spricht von einer „beträchtlichen Verschlechterung“ des Hafen-Zustands. Für den Bürgermeister Loïc Tonton ist klar: So etwas hat die Insel noch nie erlebt. Auch die Präfektur nennt die Invasion „beispiellos“. Wer die Fotos sieht – das Wasser dicht, trüb und bewegungslos unter den Algenschichten –, versteht, warum.
Wenn das Brot nicht mehr kommt
Die Menschen auf La Désirade sind verzweifelt. Ohne Fähren gibt es keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, kein Mehl für das tägliche Brot. Alles kommt von außen. Daniel Dulorme, ein Bewohner, bringt es auf den Punkt: „Wenn morgen keine Warenlieferung kommt, ist hier alles vorbei. Essen, Benzin, Brot… Wir sind blockiert.“ Wie lange kann eine kleine Insel durchhalten, wenn der Nachschub versiegt?
Das größte Problem: Die Insel hat schlicht keine Mittel, um die Sargassum-Invasion zu stoppen. Es gibt weder Boote noch Fangvorrichtungen, die die Algen schon auf See abfangen könnten. „Weder Guadeloupe noch lokale Unternehmen haben die nötigen Geräte für eine Algensammlung“, erklärt Bürgermeister Tonton. Eine Bitte um Spezialausrüstung liegt beim Präfekten auf dem Tisch. Doch bislang wartet La Désirade vergeblich auf konkrete Hilfe.
Und es kommt noch schlimmer. Météo-France rechnet nicht mit einer Entspannung – im Gegenteil. In den kommenden Tagen und Wochen sollen die Algenteppiche weiter Richtung Nord-Grand-Terre und La Désirade treiben. Die Sargassum-Blüte erreicht derzeit ihren Höhepunkt. Wer am Strand steht und den Horizont absucht, sieht nur noch braune Wellenberge.
Giftgas in der Luft
Die Folgen der Sargassum-Invasion gehen weit über blockierte Häfen hinaus. Beim Verrotten der Algen entsteht Schwefelwasserstoff. Ein giftiges Gas, das Augen reizt, den Hals brennen lässt und Übelkeit verursacht. Viele Inselbewohner klagen über Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Hautreizungen. Auch Tiere leiden: Meeresschildkröten schaffen es nicht mehr an Land, um ihre Eier abzulegen. Fische verenden unter den wabernden Teppichen. Es ist, als würde das Meer seine Lebenskraft verlieren.
Ein Kampf David gegen Goliath
Die Krise zeigt gnadenlos, wie hilflos Inseln wie La Désirade sind, wenn Naturkatastrophen – in diesem Fall ökologischer Art – sie treffen. Doch es gibt klare Ursachen: Klimawandel, Düngerabwässer aus Südamerika, veränderte Meeresströmungen – alles Faktoren, die die Algenexplosion nähren.
Die Bevölkerung wartet jetzt auf Taten statt Versprechen. Boote, Fangvorrichtungen, Bagger – das sind keine Luxusinvestitionen, sondern Mittel zum Überleben. Denn was passiert, wenn die Versorgung komplett zusammenbricht? Die Insel lebt derzeit wie abgeschnitten von der Welt. Mit dem brennenden Gestank von Sargassum in der Nase und der bangen Frage: Wie lange noch?
Von C. Hatty
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