Wenn Lyon leuchtet, hält selbst der Himmel den Atem an.
Pünktlich zum Dezemberbeginn hat die Stadt an der Rhône ihr strahlendes Festkleid angelegt – ein Gewand aus Licht, Farbe, Klang und Erinnerung. Die Fête des Lumières ist zurück. Und sie ist mehr als ein Fest: Sie ist ein Gefühl. Ein Ritual, das Geschichte, Gegenwart und Zukunft in leuchtende Kunstwerke verwandelt.
Am Abend des 4. Dezember war es wieder so weit. Noch vor dem offiziellen Start am 5. Dezember lud die Stadt zur Avant-Première, zu einer Art Generalprobe unter funkelndem Sternenzelt. Auf dem Hügel thronte die Basilika von Fourvière, majestätisch illuminiert, während in den Gassen von Presqu’île und Croix-Rousse bereits erste Lichtskulpturen ihre Wirkung entfalteten.
Zwanzig Installationen wurden getestet – ein visuelles Vorspiel, das Lust auf mehr machte.
Jean-Jacques Bouteloup, 72, aus dem benachbarten Villeurbanne, kommt jedes Jahr. „Man wird nicht müde, überrascht zu werden“, sagt er. Und in diesem Satz schwingt genau jene kindliche Freude mit, die dieses Fest so einzigartig macht.
Die diesjährige Ausgabe bringt 23 Lichtkunstwerke auf die Straßen und Plätze Lyons – von der Place des Terreaux bis zum Parc de la Tête d’Or. Dort, im größten Stadtpark Frankreichs, feierte auch die spektakulärste Neuheit ihre Premiere: ein Drohnenspektakel des lokalen Kollektivs „Allumée“. Hunderte leuchtender Flugkörper zeichnen Formen in den Nachthimmel, choreografiert wie ein Ballett aus Licht.
Dazu gesellen sich poetische, humorvolle und bisweilen politisch anmutende Beiträge. Eine besonders charmante Installation stammt vom katalanischen Kollektiv Tigrelab: „Le lundi, c’est ravioli“ – ein popkultureller Gruß an die berühmten „Mères lyonnaises“, die legendären Köchinnen der Stadt. Ihre Rezepte – bodenständig, üppig, unverkennbar – sind Kulturerbe und Lebensgefühl zugleich.
Auch Skateboarder kommen in diesem Jahr zu Ehren: Auf dem Place Louis-Pradel leuchtet eine Hommage an 40 Jahre Skatekultur in Lyon – geschaffen vom Künstler und Architekten Nicolas Paolozzi. Ein Stück Jugendkultur als leuchtendes Denkmal.
Die Fête des Lumières ist tief verwurzelt in der religiösen Tradition Lyons.
Jedes Jahr am 8. Dezember stellen die Lyonnaiser:innen ein kleines Licht – ein „lumignon“ – in ihre Fenster, als Dank an die Jungfrau Maria, Schutzpatronin der Stadt. Was im 19. Jahrhundert begann, hat sich über die Jahrzehnte zu einem der größten Lichtkunstfestivals Europas entwickelt.
Und doch: Die Ausgabe 2025 steht unter anderen Vorzeichen.
Die Stadt hat ihren finanziellen Gürtel enger geschnallt. Der Nettobetrag der städtischen Ausgaben – abzüglich Personalkosten – liegt bei 2,1 Millionen Euro, rund 800.000 Euro weniger als im Vorjahr. Ein Teil des Defizits wurde durch verstärktes Sponsoring aufgefangen. Neben lokalen Unterstützern tritt diesmal auch ein globaler Akteur auf den Plan: Netflix. Der Streamingriese finanzierte eine Installation zur Bewerbung seiner Erfolgsserie „Stranger Things“. Ein neuer Ton im Konzert der Lichter – ein bisschen Kommerz, ein bisschen Pop.
Manche kritisieren das – ebenso wie die Reduzierung des Festivalareals. Doch Bürgermeister Grégory Doucet hält dagegen: Die Ausgabe 2025 setze auf „unveröffentlichte Konzepte“ und „Hommagen an die lyonnaise Kultur“. Und tatsächlich zeigt sich Lyon in diesem Jahr nicht größer, aber dichter, feiner, konzentrierter. Wie ein Roman, der weniger Seiten zählt, aber mehr Tiefe besitzt.
Vor der Oper leuchtet „Row“ – zehn holografische Bildschirme in einer Linie, konzipiert vom russischen Kollektiv Tundra. Ein hypnotisches Werk, das sich zwischen Licht, Ton und Wahrnehmung bewegt.
Es sind genau solche Momente, in denen man versteht, warum Lyon die Lichter nicht einfach anknipst, sondern sie zelebriert. Mit Ernst, mit Esprit – und mit einer tiefen Liebe zur Stadt selbst.
Denn die wahre Attraktion der Fête des Lumières ist nicht das Licht.
Es ist Lyon.
Autor: Andreas M. Brucker
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