Tag & Nacht


Am 11. August 2025 hat US-Präsident Donald Trump einen Schritt unternommen, den selbst langjährige Beobachter der amerikanischen Innenpolitik als historisch einmalig bezeichnen: Unter Berufung auf einen „öffentlichen Sicherheitsnotstand“ übernahm er die Kontrolle über das Polizeiwesen von Washington, D.C., und entsandte 800 Angehörige der Nationalgarde in die Hauptstadt. Rechtsgrundlage ist Abschnitt 740 des Home Rule Act von 1973, der dem Präsidenten in Ausnahmefällen die Befugnis gibt, das Metropolitan Police Department (MPD) unter Bundesaufsicht zu stellen.

Rechtlicher Rahmen und historische Seltenheit

Der Home Rule Act regelt seit den 1970er-Jahren die eingeschränkte Selbstverwaltung der Hauptstadt, die kein Bundesstaat ist und daher in föderaler Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt. Abschnitt 740 erlaubt dem Präsidenten, bei einem erklärten Notfall die Polizeikontrolle kurzfristig zu übernehmen – zunächst für 48 Stunden ohne Kongressbeteiligung, für längere Zeit jedoch nur nach vorheriger Unterrichtung bestimmter Ausschussvorsitzender. Die Anwendung dieser Klausel war bislang theoretischer Natur und wurde noch nie in vergleichbarer Form durchgesetzt.

Politischer Zündstoff

Trumps Schritt trifft auf massiven Widerstand seitens der Stadtverwaltung. Bürgermeisterin Muriel Bowser nannte den Vorgang „beunruhigend und beispiellos“ und verwies darauf, dass die Gewaltkriminalität im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen sei. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, einen vagen Sicherheitsbegriff zu nutzen, um gezielt in eine demokratisch regierte Stadt einzugreifen. Sie sehen darin weniger eine Notfallmaßnahme als vielmehr ein politisches Machtinstrument – mit Signalwirkung auch für andere Städte, in denen die Bundesregierung Einfluss nehmen möchte.

Kriminalitätsentwicklung und Narrativ

Der Kern der Auseinandersetzung liegt in der Frage, ob tatsächlich eine Sicherheitslage vorliegt, die den drastischen Eingriff rechtfertigt. Während Trump in seiner Begründung auf wachsende Bedrohungen und mangelnde lokale Durchsetzungsfähigkeit verweist, zeigen städtische Statistiken einen deutlichen Rückgang bei Gewaltverbrechen. Beobachter sehen darin ein Auseinanderklaffen zwischen der offiziellen Darstellung aus dem Weißen Haus und der polizeilichen Realität vor Ort.

Föderale Ordnung und demokratische Selbstverwaltung

Washington, D.C., ist seit jeher ein Sonderfall in der amerikanischen Demokratie. Die Einwohner zahlen Bundessteuern, haben aber kein volles Stimmrecht im Kongress. Die Home Rule von 1973 sollte der Stadt mehr Selbstbestimmung geben – ein Balanceakt zwischen föderaler Kontrolle und kommunaler Autonomie. Trumps Intervention rückt diese Balance nun ins Zentrum einer verfassungsrechtlichen Debatte: Darf der Präsident auf Grundlage einer weit auslegbaren Klausel dauerhaft in die kommunale Verwaltung eingreifen, oder untergräbt er damit fundamentale Prinzipien der Gewaltenteilung?

Nationale Tragweite

Die Entscheidung entfaltet Wirkung weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus. Juristen warnen vor einem Präzedenzfall, der es künftigen Präsidenten erleichtern könnte, aus politischen Gründen in lokale Polizeibehörden einzugreifen. Für Befürworter Trumps ist das Vorgehen hingegen ein legitimer Einsatz präsidialer Macht zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung. In den kommenden Wochen dürfte sich im Kongress entscheiden, ob die Intervention ein zeitlich begrenzter Ausnahmefall bleibt oder ob sie zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Bund und Gemeinden in den USA führt.

Autor: Andreas M. Brucker

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