Die Bilder aus Los Angeles gleichen jenen vergangener Krisenzeiten: schwer bewaffnete Truppen der Nationalgarde patrouillieren in den Straßen, während Demonstrierende Slogans gegen Razzien und Polizeigewalt skandieren. Am 7. Juni 2025 ordnete US-Präsident Donald Trump die Entsendung von 2.000 Nationalgardisten nach Kalifornien an – ohne die Zustimmung des Gouverneurs. Die Entscheidung fiel auf dem Höhepunkt von Protesten gegen eine verschärfte Einwanderungspolitik und hat eine Debatte über die Grenzen föderaler Machtbefugnisse neu entfacht.
Seit Tagen kommt es in mehreren Stadtteilen von Los Angeles zu Protesten, nachdem die US-Einwanderungsbehörde ICE am Freitag, dem 6. Juni, bei koordinierten Razzien mindestens 44 Personen festgenommen hatte. Die Maßnahmen richteten sich vorrangig gegen Personen ohne gültige Aufenthaltspapiere, doch das Vorgehen – schwer bewaffnete Agenten, nächtliche Operationen, Razzien in belebten Wohnvierteln – führte zu heftiger Ablehnung. Besonders in Vierteln mit hohem Anteil lateinamerikanischer Migrantinnen und Migranten entluden sich Wut und Angst in Protestzügen, Straßensperren und teils gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Eine Intervention mit politischem Signal
Donald Trump, der seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus seine migrationspolitische Agenda mit besonderem Nachdruck verfolgt, nutzte die Unruhen, um ein Zeichen zu setzen. Ohne Rücksprache mit Gouverneur Gavin Newsom aktivierte er Befugnisse nach Titel 10 des US-Kodex und befahl den Einsatz der Nationalgarde in Los Angeles. Anders als bei vergleichbaren Einsätzen der Vergangenheit wurde jedoch nicht der Insurrection Act von 1807 bemüht, der eigentlich für Inlandseinsätze der Streitkräfte vorgesehen ist.
Die formale Umgehung dieses Gesetzes hat juristische Tragweite. Während die Nationalgarde üblicherweise unter der Kontrolle der Bundesstaaten steht, erlaubt Titel 10 eine föderale Aktivierung unter bestimmten Voraussetzungen. Kritiker sehen darin eine problematische Dehnung präsidialer Machtbefugnisse – zumal die Gewaltakte in Los Angeles nach Ansicht lokaler Behörden keineswegs ein Maß erreicht hätten, das den Einsatz von Bundestruppen rechtfertigen würde.
Kalifornien kontert – auf juristischer und politischer Ebene
Gouverneur Gavin Newsom reagierte umgehend und mit scharfen Worten: Der Präsident handele „absichtlich provokativ“ und missbrauche ein sensibles sicherheitspolitisches Instrument, um politische Gegenspieler zu demütigen. Auch Los Angeles’ Bürgermeisterin Karen Bass verurteilte die Maßnahme und kritisierte die ICE-Razzien als Ausdruck einer „Politik der Einschüchterung“, die gezielt Angst in migrantischen Gemeinschaften schüre. Beide kündigten an, rechtliche Schritte gegen die föderale Intervention zu prüfen.
Die Kritik beschränkt sich jedoch nicht auf das von Demokraten regierte Kalifornien. Auch konservative Juristen und Verfassungsexperten äußerten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens. Während der Präsident grundsätzlich das Recht hat, in bestimmten Krisensituationen Bundestruppen einzusetzen, setzen diese Schritte üblicherweise die Zustimmung oder zumindest Konsultation der betroffenen Bundesstaaten voraus. Dass Trump diesen Konsens aufkündigt, wird von vielen Beobachtern als gefährlicher Präzedenzfall gewertet.
Parallelen und Brüche in der US-Geschichte
Historisch gesehen sind Einsätze der Nationalgarde im Inland selten und stets politisch aufgeladen gewesen. Ob während der Bürgerrechtsproteste der 1960er Jahre oder bei den Unruhen nach dem Rodney-King-Urteil 1992: In beiden Fällen griff die Bundesregierung ein – jedoch stets in Absprache mit den Gouverneuren oder auf deren ausdrückliche Bitte. Dass Trump nun ohne diese Grundlage handelt, verschiebt die Balance zwischen Föderal- und Landesgewalt.
Ohne Aktivierung des Insurrection Acts fehlt dem Einsatz eine klare rechtliche Verankerung. Gleichzeitig wird vermieden, dass die Proteste offiziell als „Aufstand“ deklariert werden – ein Begriff, der im politischen Diskurs eine Eskalation darstellen würde und das Bild von Los Angeles als „Stadt im Bürgerkrieg“ zementieren könnte. Die rechtliche Grauzone wird so zum politischen Kalkül.
Dass Präsident Trump den umstrittenen Verteidigungsminister Pete Hegseth mit der operativen Umsetzung des Einsatzes betraut hat, unterstreicht den politischen Charakter der Aktion. Hegseth, ein ehemaliger Fox-News-Kommentator mit ausgeprägt konservativen Positionen, kündigte an, dass neben der Nationalgarde auch Marineeinheiten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt wurden. Zwar sei aktuell kein direkter Einsatz des aktiven Militärs geplant, doch die Botschaft ist klar: Der Präsident ist bereit, das Gewaltmonopol des Bundes weiter auszuweiten, wenn es seine politische Agenda erfordert.
Diese Militarisierung der US-Innenpolitik wird von Bürgerrechtsgruppen mit wachsender Sorge beobachtet. Die Grenzziehung zwischen zivilgesellschaftlicher Kontrolle und militärischer Ordnung wird poröser – insbesondere wenn Einsätze wie der in Los Angeles zur neuen Normalität werden sollten. Der Präsident setze ein Signal, so die Kritik, dass staatliche Gewalt ein legitimes Mittel zur Durchsetzung innenpolitischer Interessen sei – selbst gegen den ausdrücklichen Willen demokratisch gewählter Landesregierungen.
Die innenpolitische Schieflage vertieft sich
Was sich in Los Angeles abspielt, ist weit mehr als eine Auseinandersetzung über Migration. Es ist ein Ausdruck der tiefen politischen Spaltung zwischen einem republikanisch dominierten Washington und demokratisch regierten Bundesstaaten wie Kalifornien. Während die Bundesregierung auf Repression setzt, bemühen sich lokale Institutionen um Deeskalation. Der Konflikt berührt dabei grundlegende Fragen der US-Verfassung: Wer hat das letzte Wort bei innerstaatlicher Sicherheit? Und wie weit darf ein Präsident gehen, um seine Vorstellungen von Recht und Ordnung durchzusetzen?
Wie lange die Nationalgarde in Los Angeles verbleiben wird, ist derzeit offen. Auch ist unklar, ob es zu einem aktiven Einsatz gegen Demonstrierende kommt oder ob ihre bloße Präsenz als Drohkulisse gedacht ist. Sicher ist nur: Mit der Entsendung von Truppen gegen den Willen eines Bundesstaates hat Donald Trump eine neue Schwelle überschritten. Die Konsequenzen dieses Schrittes werden weit über Kalifornien hinaus spürbar sein.
Von Andreas Brucker
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