So eine Protestaktion sieht man selten: Statt Plakaten oder Megafonen inszeniert Greenpeace eine Aktion, die geradezu filmreif wirkt. Schauplatz: das Musée Grévin in Paris. Ziel: Frankreichs Energiepolitik und die zwiespältige Beziehung zu Russland.
Was wie ein Krimi beginnt: Der Raub der Wachsfigur
Am Vormittag des 2. Juni erscheinen drei vermeintliche Museumsbesucher im Musée Grévin. Zwei Frauen, ein Mann. Unauffällig, wie Touristen. Doch hinter den Kulissen folgt der Rollentausch: Mit Museumsuniformen ausgestattet, nehmen sie die 40.000 Euro teure Wachsfigur von Präsident Emmanuel Macron an sich. In einer Decke versteckt, verlassen sie mit ihr das Gebäude durch einen Notausgang – unbehelligt.
Was wie ein Diebstahl klingt, war laut Greenpeace nur eine Leihgabe mit politischer Botschaft. Und die ließ nicht lange auf sich warten.
Erst die Botschaft, dann eine Botschaft
Noch am selben Tag landet Macrons Double vor der russischen Botschaft im 16. Pariser Arrondissement. Dazu ein Banner in kyrillischer Schrift und das Schild „Business is business“. Falsche Geldscheine wirbeln durch die Luft – eine plakative Anklage gegen die wirtschaftlichen Verbindungen Frankreichs zu Russland. Es wirkt wie eine Szene aus einem satirischen Theaterstück – nur dass der Ernst des Themas kein bisschen gespielt ist.
Greenpeace rechnet ab
Jean-François Julliard, Chef von Greenpeace Frankreich, bringt die Motivation auf den Punkt: Frankreichs Haltung zur Ukraine sei widersprüchlich. Politische Unterstützung hier – energiepolitische Abhängigkeit dort. Besonders brisant: Frankreich zählt zu den größten Abnehmern von russischem Flüssigerdgas in Europa. Verträge mit Laufzeiten bis 2041 zementieren diese Verbindung.
Was bedeutet das in der Praxis? Gas, chemische Düngemittel, Uran – alles weiter importiert, als gäbe es keine Sanktionen oder geopolitische Spannungen.
EDF im Visier: Ein neuer Schauplatz
Am Abend des 3. Juni erreicht die Aktion ihren zweiten Höhepunkt: Greenpeace stellt die Macron-Figur vor dem Hauptsitz von EDF (Électricité de France) auf. Diesmal mit einem weiteren Statement: „Poutine-Macron Alliés radioactifs“ – Putin und Macron als strahlende Partner.
Greenpeace kritisiert insbesondere die EDF-Tochter Framatome. Diese importiere weiterhin angereichertes Uran aus Russland, um französische Atomkraftwerke zu betreiben. Man fragt sich unweigerlich: Wie passt das zur europäischen Haltung gegenüber dem Kreml?
Die Rückgabe mit Stil – und Stachel
Nach der Inszenierung informiert Greenpeace die Behörden sowie die Museumsleitung. Die Statue sei – so Julliard – „zurückgebracht“, denn sie sei ja nur „geliehen“ gewesen. Eine fast schon charmante Note inmitten einer knallharten Anklage. Jetzt liegt es am Museum, sich seinen Präsidenten wieder abzuholen.
Ein Rückgriff auf alte Protest-Traditionen
Interessanterweise ist das Musée Grévin nicht zum ersten Mal Schauplatz politisch motivierter Kunstaktionen. Schon 1980 verschwand die Figur von Valéry Giscard d’Estaing – damals als Protest gegen eine neue Steuer. Dieses Mal jedoch steht nicht der nationale Fiskus im Mittelpunkt, sondern globale Energiepolitik.
Kunst als Katalysator
Die Aktion ist mehr als ein PR-Stunt. Sie ist ein Weckruf, verpackt in einer originellen Form des Protests. Frankreichs energiepolitisches Verhalten – insbesondere die langjährigen Verträge mit russischen Energiekonzernen – widerspricht dem politischen Bild, das nach außen vermittelt wird.
In einer Zeit, in der Energiepolitik nicht nur ökonomische, sondern auch moralische Fragen aufwirft, liefert Greenpeace eine überraschende, aber messerscharfe Antwort: Ihr redet von Souveränität und Solidarität – aber eure Deals sagen etwas anderes.
Die Wirkung? Noch offen
Wie die französische Regierung auf diese Aktion reagiert, bleibt offen. Doch eines ist sicher: Die Debatte ist entfacht – und dürfte weiter lodern. Vielleicht braucht es manchmal ein bisschen Theater, damit unbequeme Wahrheiten sichtbar werden.
Von Andreas M. Brucker
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