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Die Welt hat eine neue bittere Marke erreicht: Über 123 Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht. Das ergibt der aktuelle Weltflüchtlingsbericht des UNHCR für 2024/25. Diese Zahl ist nicht nur erschreckend – sie ist ein historischer Höchststand. Noch nie zuvor gab es so viele Menschen, die gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Ein Plus von sieben Millionen gegenüber dem Vorjahr. Das bedeutet: Jeder 67. Mensch weltweit lebt derzeit entwurzelt. Ohne festen Boden unter den Füßen. Ohne Zuhause.

Flucht im eigenen Land – das vergessene Drama

Oft denken wir bei Flüchtlingen an Menschen, die Grenzen überqueren – doch der Großteil bleibt im eigenen Land. 73,5 Millionen sogenannte Binnenvertriebene gibt es mittlerweile. Eine stille, oft übersehene Katastrophe. Sie leben in Notunterkünften, verlassenen Gebäuden oder unter freiem Himmel. Und das in Ländern, die selbst kaum Ressourcen haben, um den eigenen Bürgern ein sicheres Leben zu bieten.

Daneben stehen 42,7 Millionen internationale Flüchtlinge – darunter auch Menschen, die nach wie vor auf eine Anerkennung ihres Asylstatus warten. 8,4 Millionen von ihnen befinden sich in diesem unsicheren Zwischenzustand. Ein Leben auf Pause.

Gewalt, Klima und Chaos – Warum fliehen so viele?

Die Ursachen sind vielfältig, aber fast immer menschengemacht. Ganz vorn: Krieg. Der Sudan steht mit über 14 Millionen Vertriebenen an der Spitze. Es folgen Syrien, Afghanistan und die Ukraine. Doch es sind nicht nur Granaten und Gewehre, die Menschen vertreiben.

Auch die Klimakrise trägt immer stärker zur Flucht bei. Bis zu drei Viertel aller Geflüchteten leben in Gebieten, die stark von Umweltkatastrophen betroffen sind – Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürme. Natur wird zur Waffe.

Hinzu kommen die wachsende Macht krimineller Banden, politische Instabilität und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit – besonders in Ländern wie Haiti oder Myanmar.

Eine zarte Hoffnung: Menschen kehren zurück

Erstmals seit Jahren ist ein Hoffnungsschimmer zu erkennen: 1,6 Millionen Flüchtlinge und mehr als 8 Millionen Binnenvertriebene kehrten 2024 in ihre Heimat zurück. Besonders auffällig: Syrien. Fast zwei Millionen Menschen wagten den Schritt zurück. Aber die Realität dort ist oft alles andere als rosig – viele kehren in Ruinen zurück, leben ohne medizinische Versorgung oder Bildung.

Was treibt sie dennoch zur Rückkehr? Die Hoffnung, der Wunsch nach Normalität – oder schlicht die Aussichtslosigkeit in den Aufnahmeländern?

Wenn das Geld fehlt: UNHCR schlägt Alarm

Trotz wachsender Krisen sinkt das Geld. Die Mittel des UNHCR für 2025 sind so niedrig wie zuletzt 2015. Und das bei fast doppelt so vielen Vertriebenen. Besonders drastisch sind die Folgen für Kinder und Frauen – weniger Schutzräume, weniger medizinische Hilfe, kaum Zugang zu Bildung. Es fehlt an allem.

Hier zeigt sich das Dilemma: Die globale Hilfsbereitschaft bröckelt, während die Not wächst.

Wer trägt die Hauptlast – und wer drückt sich?

73 Prozent der Flüchtlinge finden Zuflucht in Nachbarländern – meist in Staaten mit geringem oder mittlerem Einkommen. Währenddessen verzeichnete Deutschland 2024 rund 230.000 neue Asylanträge. Ein Rückgang im Vergleich zu den Vorjahren – und im weltweiten Vergleich eine eher kleine Zahl.

Die öffentliche Wahrnehmung in Europa jedoch vermittelt ein anderes Bild – viele glauben, die „Flut“ käme hierher. Tatsächlich finden zwei Drittel aller Grenzübertritte innerhalb derselben Weltregion statt. Also: Kein Massenexodus nach Europa – sondern eine lokale Katastrophe mit globalen Konsequenzen.

Blick nach vorn – was erwartet uns?

Die Lage bleibt angespannt. Bestehende Konflikte – Sudan, Ukraine, Myanmar – zeigen kaum Anzeichen von Entspannung. Und neue Krisenherde wie Gaza, Haiti oder die DR Kongo könnten bald dazukommen. Friedensverhandlungen verlaufen schleppend. Der Wiederaufbau kommt kaum in Gang. Und ohne internationale Hilfe sind auch Rückkehrprozesse zum Scheitern verurteilt.

Ein düsteres Bild. Aber nicht ohne Licht. Denn der Wille zur Rückkehr, zur Stabilisierung, ist vielerorts spürbar.

Und jetzt?

123 Millionen Menschen auf der Flucht – das ist mehr als nur eine Zahl. Es ist ein Weckruf. An Regierungen, an Gesellschaften, an uns alle. Die Flüchtlingskrise ist kein „fremdes Problem“, sondern ein globales Spiegelbild unserer politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Versäumnisse.

Wie lange schauen wir noch zu? Wann wird echte Solidarität zur gelebten Realität – statt zur leeren Floskel?

Die Zahlen des Weltflüchtlingsberichts sprechen eine klare Sprache. Doch ob wir sie verstehen, liegt an uns.

Von Andreas M. Brucker

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