Sie krabbeln, kriechen, klettern – und lassen die Nerven vieler Menschen blank liegen. Seit Ende Juli 2025 wird der Süden Frankreichs, insbesondere der Raum Haute-Garonne, von einer wahren Invasion winziger Insekten heimgesucht. Die Rede ist von sogenannten „Feldwanzen“ – genauer: von Nysius cymoides, einer kaum stecknadelkopfgroßen Wanze, die plötzlich überall zu sein scheint.
Auf Hauswänden. In Pools. In Wohnzimmern.
Was wie eine Szene aus einem apokalyptischen Öko-Thriller klingt, ist in Orten wie Goyrans, Pins-Justaret oder Villate derzeit Alltag.
„Man weiß gar nicht, ob es Millionen oder Milliarden sind“
Die Aussagen der Anwohner gleichen sich: Fenster und Türen sind abgedichtet, Pools verfärbt, Abende auf der Terrasse passé. „Die Biester sind so klein, die kriechen durch jeden Türrahmen“, berichtet ein Mann aus Goyrans. Andere sprechen von „schwarzen Teppichen“ auf Hausfassaden – ein seltsames, beinahe surreales Bild im gleißenden Licht des Südens.
Immerhin: Die Tierchen sind für den Menschen völlig harmlos. Sie stechen nicht, übertragen keine Krankheiten, machen keine Geräusche. Und doch: Sie sind da. Überall. Und das in einer schier unüberschaubaren Menge.
Die Landwirtschaft als Brutstätte – und das Klima als Brandbeschleuniger
Der Lebensraum dieser Wanzen ist normalerweise der Acker: Rapsfelder, Getreide, Trockenwiesen. Doch Hitze und Trockenheit treiben sie aus ihren gewohnten Zonen in Richtung menschlicher Siedlungen. Auf der Suche nach Feuchtigkeit und Nahrung, so sagen Fachleute. Und der diesjährige Sommer? Heißer, trockener, extremer denn je.
Was da kreucht, ist also kein Zufall – sondern ein direktes Resultat des sich wandelnden Klimas. Ähnliche Schwärme wurden bereits 2019 gemeldet. Doch die aktuelle Situation sprengt alle Maßstäbe.
Verstärkt wird das Ganze durch eine weitere Entwicklung: Die starke Monokultur – allen voran von Raps – bietet diesen Wanzen eine ideale Brutstätte. Gleichzeitig führt der massive Einsatz von Pestiziden zum Verschwinden ihrer natürlichen Feinde. Das ökologische Gleichgewicht ist aus dem Takt geraten.
Wenn Seife zur letzten Hoffnung wird
Was also tun? Die Behörden stehen vor einem Dilemma. Die Verwendung klassischer Insektizide ist nicht nur umweltschädlich, sondern auch nahezu wirkungslos gegen Nysius cymoides. Die Tiere sind zäh. Widerstandsfähig. Und flink.
Die Bewohner improvisieren. Einige setzen auf eine Mischung aus Wasser und schwarzer Seife – ein altes Hausmittel, das zumindest kleine Schwärme bindet. Andere kleben Fenster- und Türrahmen mit Malerkrepp ab, um die Insekten draußen zu halten. Ein Wettlauf mit dem Ungeziefer.
Von offizieller Seite heißt es: Es existiert bislang keine wissenschaftlich bestätigte Bekämpfungsstrategie. Weder bei der Fredon Occitanie, einer Fachorganisation für Pflanzengesundheit, noch bei der regionalen Gesundheitsagentur sieht man kurzfristige Lösungen.
Und so bleibt vielen nur eines: abwarten – und hoffen.
Ein Weckruf mit sechs Beinen
Was hier im Süden Frankreichs passiert, ist mehr als ein lokales Sommerproblem. Es ist ein Fingerzeig. Ein Insekt gewordener Appell, Landwirtschaft und Umweltpolitik radikal zu überdenken.
Denn: Die Insekten selbst trifft keine Schuld. Sie folgen lediglich den Gesetzen der Natur – angepasst an veränderte Bedingungen. Für den Menschen bedeutet das: Umdenken. Hin zu vielfältigerem Anbau. Zu weniger Pestiziden. Zu mehr Biodiversität.
Wenn natürliche Feinde zurückkehren und Felder wieder zu komplexen Lebensräumen werden, könnten künftige Invasionen möglicherweise verhindert oder zumindest abgemildert werden. Aber dazu braucht es Wissen – und politischen Willen.
Bis dahin bleibt den betroffenen Familien in Okzitanien vor allem eines: Geduld. Und vielleicht ein wenig schwarze Seife im Gartenschrank.
Autor: Andreas M. Brucker
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