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Nach 17 Jahren Bauzeit ist es soweit: Der EPR-Reaktor von Flamanville in der Normandie wird am 20. Dezember an das französische Stromnetz angeschlossen. Mit zwölf Jahren Verspätung und einer Endabrechnung von 13 Milliarden Euro markiert dieses Ereignis den Abschluss eines der ehrgeizigsten – und umstrittensten – Bauvorhaben der französischen Nuklearindustrie.

Ein Traum mit Startschwierigkeiten

Als der Bau 2007 begann, galt der EPR (Europäischer Druckwasserreaktor) als Vorzeigeprojekt der französischen Nukleartechnologie. Mit modernster Sicherheitstechnik und einer Leistung von 1.650 Megawatt sollte er die Zukunft der Kernenergie einläuten. Geplant war, den Reaktor bis 2012 in Betrieb zu nehmen, mit einer Kostenkalkulation von 3,3 Milliarden Euro. Doch bald wurde klar, dass diese Ziele unrealistisch waren.

Technische Probleme wie Risse, mangelhafte Schweißnähte und minderwertiger Stahl führten zu jahrelangen Verzögerungen. Die Kosten stiegen rasant, erst auf 6 Milliarden Euro, dann auf 8,5 Milliarden, um schließlich bei 13 Milliarden Euro zu landen – eine Summe, die den ursprünglich geplanten Rahmen bei Weitem sprengt.

Ein Reaktor der Superlative

Trotz aller Hindernisse ist der EPR nun der leistungsstärkste Kernreaktor Frankreichs. Mit einer Stromerzeugungskapazität, die zwei Millionen Haushalte versorgen kann, ist er ein bedeutender Schritt für die französische Energiepolitik, die stark auf Kernkraft setzt. Der EPR soll dazu beitragen, Frankreichs Vorreiterrolle in der nuklearen Stromerzeugung zu festigen, insbesondere angesichts der wachsenden Herausforderungen im Bereich der Energiesicherheit und der Dekarbonisierung.

Doch wie viel dieser Erfolg zählt, wird kontrovers diskutiert.

Ein teures Lehrgeld

„Das ist ein Scheitern für die gesamte französische Nuklearbranche“, sagte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire 2019. Tatsächlich stellt der EPR von Flamanville ein Sinnbild für die Schwierigkeiten dar, mit denen die Branche seit Jahren kämpft: von technologischen Hürden bis hin zu organisatorischen Schwächen. Für viele Experten ist die Frage berechtigt, ob die französische Nuklearindustrie aus diesen Fehlern gelernt hat – oder ob sie in Zukunft ähnliche Probleme erwarten.

Die geplante Konstruktion von sechs neuen EPR-Reaktoren bis 2050 zeigt, dass die französische Regierung weiterhin Vertrauen in die Nukleartechnologie hat. Doch die Kosten- und Zeitüberschreitungen von Flamanville werfen Schatten auf diese ambitionierten Pläne.

Symbol einer gespaltenen Zukunft

Der EPR ist ein technisches Meisterwerk, keine Frage. Aber er ist auch ein Symbol für die Risiken gigantischer Infrastrukturprojekte. In einer Zeit, in der erneuerbare Energien immer mehr an Bedeutung gewinnen, bleibt die Frage: Ist der Weg der Kernkraft wirklich der richtige?

Flamanville wird Strom liefern – und gleichzeitig eine Erinnerung bleiben. Eine Erinnerung an die Herausforderungen, die mit Fortschritt einhergehen, und an die Verantwortung, die mit visionären Projekten einhergeht.


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