Tag & Nacht




Ein Jahr ist vergangen – doch in Neukaledonien scheint die Zeit stillzustehen. Die schweren Unruhen vom Mai 2024 haben das französische Überseegebiet tief erschüttert. Was als politischer Streit begann, endete in einer sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind.

Reform mit Sprengkraft

Es war ein Reformvorschlag mit fataler Sprengkraft: Die französische Regierung wollte das Wahlrecht bei Provinzwahlen erweitern – eine Maßnahme, die auf dem Papier harmlos klingt, in Wirklichkeit aber alte Wunden aufriss. Für viele Kanaken, die indigene Bevölkerung der Insel, war dieser Schritt ein Angriff auf ihre politische Vertretung. Jahrzehnte des Misstrauens, kolonialer Spannungen und ungelöster Unabhängigkeitsfragen brodelten plötzlich wieder an der Oberfläche.

Dann kam der Funke – Proteste kippten in Gewalt um. Binnen weniger Tage verwandelten sich die Straßen von Nouméa in Schlachtfelder: Barrikaden, Brandsätze, Plünderungen, Schüsse. Der Albtraum der 1980er Jahre war zurück.

Eine Bilanz, die schmerzt

14 Menschen starben. Darunter zwei Gendarmen. Hunderte wurden verletzt. Die Zerstörung ist massiv: Über 900 Unternehmen, 200 Häuser und 600 Fahrzeuge wurden zerstört oder niedergebrannt. Die Schadenssumme? Stolze 2,2 Milliarden Euro. Die ohnehin fragile Wirtschaft wurde ins Mark getroffen.

Besonders hart traf es den Arbeitsmarkt – 5.000 direkte Arbeitsplätze gingen verloren. Das sind über zehn Prozent aller Jobs im privaten Sektor der Insel. Und wer glaubt, dass die Zahlen die Realität erfassen, der irrt: Die wahren Kosten – emotionale, soziale, gesellschaftliche – lassen sich kaum beziffern.

Nickel – Reichtum mit Risiko

Der Stolz Neukaledoniens, der Nickelabbau, steht symbolisch für die wirtschaftliche Misere. Die Branche war einst Hoffnungsträger und Jobmotor. Heute ist sie Krisenherd. Die Schließung der KNS-Fabrik im August 2024 war ein harter Schlag – für die Provinz Nord und für die Unabhängigkeitsbewegung, die das Projekt einst mit viel Herzblut aufgebaut hatte. 1.200 Menschen verloren auf einen Schlag ihre Arbeit. Auch zahlreiche Zulieferer mussten dichtmachen.

Und jetzt? Die Industrie hängt in der Luft. Internationale Investoren zögern, die politische Unsicherheit schreckt ab – das Vertrauen ist weg.

Hilfe aus Paris – aber reicht das?

Frankreich hat reagiert: Mit einem 1,4 Milliarden Euro schweren Hilfspaket sollen die gröbsten Schäden behoben werden. Subventionen, staatlich garantierte Kredite, wirtschaftliche Wiederbelebung – alles klingt gut auf dem Papier. Doch vor Ort fehlt es oft an Tempo und Transparenz. Viele fordern, Teile der Kredite in echte Zuschüsse umzuwandeln, um den Schuldenberg nicht weiter in die Höhe zu treiben.

Wut und Hoffnungslosigkeit auf der Straße

Nicht nur die Wirtschaft leidet – auch die Gesellschaft ist gespalten wie lange nicht mehr. Die Unruhen haben das Vertrauen in Politik und Staat erschüttert. Besonders in ärmeren Vierteln brodelt es: Viele fühlen sich vergessen, im Stich gelassen. Die medizinische Versorgung ist durch den Weggang zahlreicher Ärzte und Pflegekräfte in eine Krise gestürzt.

Die Stimmung? Gereizt. Frustriert. Explosiv.

Was bringt die Zukunft?

Noch ist unklar, wie es weitergeht. Die Gespräche über den politischen Status der Insel laufen – aber schleppend. Frankreich, die lokalen Behörden, Unabhängigkeitsbefürworter und Loyalisten müssen an einem Tisch Lösungen finden. Es geht um mehr als nur um Verfassungsfragen. Es geht ums Überleben des gesellschaftlichen Friedens.

Könnte gerade dieser Tiefpunkt der Anfang einer neuen Ära sein?

Der Weg zurück ist steinig – aber nicht unmöglich

Die Straßen werden repariert, Gebäude wieder aufgebaut. Doch der wahre Wiederaufbau – der in den Herzen der Menschen – ist weitaus schwieriger. Es braucht Dialog, Respekt und vor allem: Geduld. Nur wenn alle Seiten aufeinander zugehen, hat Neukaledonien eine Chance auf eine bessere Zukunft.

Denn eines steht fest: Frieden fällt nicht vom Himmel. Er muss gemacht werden – jeden Tag aufs Neue.

Von C. Hatty

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!