In Frankreich flammt die Diskussion um die gesetzliche Regelung der Sterbehilfe erneut auf. Premierminister François Bayrou hat kürzlich seine Absicht bestätigt, das Gesetzesvorhaben in zwei separate Texte zu unterteilen: eines für die Palliativversorgung und ein weiteres für die aktive Sterbehilfe. Dieser Schritt stößt jedoch auf erheblichen Widerstand innerhalb der Regierungsmehrheit sowie bei sozialistischen Abgeordneten. Eine kürzlich an Bayrou adressierte Protestnote unterstreicht die Brisanz des Themas.
Der Kern der Kontroverse: Ein zweigeteilter Ansatz
Die geplante Trennung des Gesetzesvorhabens in zwei eigenständige Texte wird von einer breiten Gruppe politischer Persönlichkeiten entschieden abgelehnt. Insgesamt 13 ehemalige Minister und 180 Abgeordnete, darunter prominente Vertreter der Regierungspartei Renaissance sowie der Sozialistischen Partei, fordern in ihrem Schreiben die Rückkehr zum ursprünglichen, einheitlichen Gesetzesvorschlag. Zu den Unterzeichnern zählen Persönlichkeiten wie Yaël Braun-Pivet, die Präsidentin der Nationalversammlung, und ehemalige Minister wie Olivier Dussopt, François de Rugy und Barbara Pompili.
In ihrer Argumentation betonen die Unterzeichner, dass die Trennung von Palliativversorgung und aktiver Sterbehilfe eine grundlegende Fehleinschätzung darstelle. Sie betrachten die aktive Sterbehilfe als „eine ultimative Form der Palliativversorgung“, die in einem umfassenden Behandlungsansatz integriert werden sollte. Die Initiative beruft sich zudem auf die Ergebnisse der Bürgerkonvention zur Sterbehilfe, die sich mehrheitlich für ein einheitliches Gesetz ausgesprochen hat.
Die politische Dynamik hinter dem Widerstand
Der Brief an Premierminister François Bayrou ist mehr als ein Appell. Er richtet sich auch implizit an Staatspräsident Emmanuel Macron, der sich bislang in dieser Frage auffällig zurückhaltend gezeigt hat. Macron hatte sich 2017 während seines ersten Präsidentschaftswahlkampfs für eine progressive Regelung der Sterbehilfe ausgesprochen, doch viele Unterstützer seiner damaligen Agenda beklagen nun ein mangelndes Engagement in dieser sensiblen Angelegenheit.
Ein prominenter Unterzeichner kritisierte Macrons Schweigen mit den Worten: „Wenn er Zeit findet, über Autobahngebühren oder den Louvre zu sprechen, sollte er auch zu einem Thema Stellung nehmen können, zu dem er sich einst verpflichtet hat.“ Diese Kritik verdeutlicht den Frust in Teilen der Regierungsmehrheit, die sich von der politischen Führung Klarheit und Entschlossenheit erhofft.
Der Ansatz der Regierung: Zwei getrennte Texte
Die Regierung rechtfertigt ihren zweigeteilten Ansatz mit dem Wunsch, Palliativversorgung und aktive Sterbehilfe als eigenständige Themen zu behandeln. Premierminister Bayrou erklärte dazu in einem Interview, er halte die Palliativversorgung für eine Pflicht, während die Sterbehilfe eine Gewissensentscheidung sei, die separat behandelt werden müsse. Er betonte zudem, dass es den Abgeordneten ermöglicht werden solle, über die beiden Themen getrennt abzustimmen.
Diese Strategie steht jedoch im Widerspruch zu den Forderungen vieler Parlamentarier, die eine integrierte Lösung bevorzugen. Kritiker befürchten, dass die Aufspaltung des Gesetzesvorhabens den Weg für eine umfassende Reform blockieren könnte. Sie argumentieren, dass eine solche Verzögerung die Realisierung eines Gesetzes innerhalb der verbleibenden Amtszeit Macrons gefährde.
Parteiübergreifender Druck wächst
Parallel zu dem Brief der 180 Abgeordneten organisiert Olivier Falorni, ein zentraler Befürworter der Sterbehilfereform im Parlament, eine parteiübergreifende Initiative. Gemeinsam mit neun weiteren Abgeordneten aus verschiedenen politischen Lagern – von der linksradikalen La France Insoumise (LFI) bis zu den konservativen Les Républicains (LR) – plant er eine öffentliche Konferenz, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Ziel dieser Initiative ist es, den ursprünglichen Gesetzesvorschlag schnellstmöglich wieder auf die parlamentarische Agenda zu setzen.
Die parteiübergreifende Zusammenarbeit zeigt, dass die Debatte um Sterbehilfe nicht entlang traditioneller politischer Bruchlinien verläuft. Vielmehr scheint sich ein Konsens über Parteigrenzen hinweg zu entwickeln, der auf eine zügige und umfassende Regelung drängt.
Sterbehilfe in Frankreich: Historischer und internationaler Kontext
Frankreichs politische Auseinandersetzung um die Sterbehilfe fügt sich in eine breitere europäische Diskussion ein. Länder wie Belgien, die Niederlande und Luxemburg haben bereits fortschrittliche Regelungen für aktive Sterbehilfe eingeführt. Diese Beispiele dienen Befürwortern in Frankreich oft als Vorbild, um zu zeigen, dass eine solche Praxis ethisch und rechtlich tragfähig gestaltet werden kann.
Auf nationaler Ebene ist das Thema Sterbehilfe seit Jahren umstritten. Bereits 2016 wurde das sogenannte Claeys-Leonetti-Gesetz verabschiedet, das Patienten ein Recht auf tiefen, kontinuierlichen Sedierung bis zum Tod einräumt. Doch viele Kritiker sehen darin lediglich eine unzureichende Zwischenlösung, die das grundlegende Problem nicht löst: den Wunsch schwerkranker Patienten nach einem selbstbestimmten Lebensende.
Perspektiven für die Gesetzgebung
Die Frage, wie Frankreich die Sterbehilfe gesetzlich regeln soll, bleibt vorerst offen. Der politische Druck auf die Regierung wächst jedoch, sowohl durch die Mehrheit der Parlamentarier als auch durch die Öffentlichkeit. Die Ergebnisse der Bürgerkonvention zur Sterbehilfe haben gezeigt, dass ein erheblicher Teil der französischen Bevölkerung für eine Liberalisierung ist. Gleichzeitig müssen jedoch ethische Bedenken und der Schutz vulnerabler Gruppen berücksichtigt werden.
Ob die Regierung unter Premierminister Bayrou dem wachsenden Druck nachgeben und die Gesetzgebung neu ausrichten wird, könnte entscheidend für den weiteren Verlauf von Macrons Präsidentschaft sein. Der Ausgang dieser Debatte wird nicht nur die französische Gesellschaft prägen, sondern könnte auch als Vorbild für andere Länder dienen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
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