Tag & Nacht

Patrick Baudouin, Präsident der Liga für Menschenrechte, kritisiert „unverhältnismäßige“ Einsätze der Ordnungskräfte. Seiner Meinung nach „muss man zu einer echten Deontologie der Ordnungskräfte zurückkehren“.

„Wir befinden uns in einer besonders alarmierenden Situation für die Demokratie“, äußerte sich Rechtsanwalt Patrick Baudouin, Präsident der Liga für Menschenrechte, am Mittwoch, dem 22. März, auf Franceinfo. Mehrere Demonstranten bei Protesten gegen die Rentenreform beklagten Polizeigewalt und willkürlichen Festnahmen bei den Demonstrationen.

Patrick Baudouin bezeichnet die derzeitige Situation als vorhersehbar und äußerst beunruhigend, weil man das Gefühl hat, dass sie unkontrolliert und unkontrollierbar ist. „Wir befinden uns in einer besonders alarmierenden Situation für die Demokratie und in Gegenwart von Polizeigewalt, die die Situation nur noch weiter eskalieren lassen kann.“

Innenminister Darmanin vermittle mit seinen Aufforderungen nicht angemeldete Demonstrationen nicht zuzulassen, „ein wenig den Eindruck des Brandstifters, der anschließend Mühe hat, das Feuer zu löschen“. Man dürfe nicht vergessen, dass die Ursache für diese Demonstrationen die Sturheit „der Machthaber“ sei. Nicht genehmigte Demonstrationen sind keine verbotenen Demonstrationen, so Baudouin. Es handelt sich vielmehr um spontane Versammlungen, die im Übrigen in der Regel mehr oder weniger friedlich verlaufen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Ordnungskräfte eingreifen. Die Interventionen der Ordnungskräfte seien derzeit wieder, wie schon während der Gelbwestenkrise, unverhältnismäßig. Zunächst komme es immer wieder zu missbräuchlichen, präventiven Festnahmen von Demonstranten, die daran gehindert werden sollen, an den Ort einer Versammlung zu gelangen, was schlicht und ergreifend Unrecht ist. Das ist ein Verstoß gegen die Demonstrationsfreiheit. Die anderen Elemente, die in den vergangenen Tagen festgestellt werden mussten, sind ein übermäßig gewalttätiges Verhalten der Ordnungskräfte. Man wende die sogenannte Reusen-Technik wieder an, die jedoch vom Staatsrat verboten wurde.

Allerdings muss man auch sehen, dass schon 300 Polizisten bei den neuesten Demonstrationen verletzt wurden, zwei davon sogar schwer. Natürlich ist es nicht normal, dass Polizisten verletzt werden, sagt Baudouin. „Das Problem ist die Antwort, die auf der Ebene der Macht gegeben wird, in der Technik der Aufrechterhaltung der Ordnung“. Es handele sich um eine Technik der Provokation und Gewalt, die unweigerlich eine Reaktion hervorrufe, die sich auf die Polizisten selbst überträgt. Frankreich müssen also zu einer echten Deontologie der Ordnungskräfte zurückkehren. Die Polizisten haben zum Beispiel eine Identifikationsnummer, diese sei bei vielen Polizisten allerdings nicht sichtbar. Dabei sei die Möglichkeit der Identifizierung ein elementarer Bestandteil der Berufsethik. „Es gibt heute auch den Einsatz von Schlagstöcken, der ziemlich systematisch ist. Die motorisierten Brigaden zur Unterdrückung von Gewaltaktionen (Brav M) fallen aus dem Rahmen der normalen Ordnungsmaßnahmen. Es handelt sich um Brigaden zur Unterdrückung von Gewalt, die selbst auf eine Art und Weise handeln, die sofort als gewalttätig empfunden wird.“ Das führt manchmal zwangsläufig zu weiteren Gewalttätigkeiten auf beiden Seiten.

Auch die Tatsache, dass Emmanuel Macron vor den Abgeordneten seiner Partei die „Legitimität“ des „Mobs“ auf der Straße verneint, hilft nicht, die Situation zu beruhigen. Man müsse zwischen Legalität und Legitimität unterscheiden, so Baudouin. „Es gab Zeiten in unserer Geschichte, in denen wir Gesetze hatten, die in voller Übereinstimmung mit den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Bestimmungen verabschiedet wurden, und dennoch waren sie illegitim. Was Herr Macron vergisst, ist, dass es heute eine Legitimität der Reaktion der Straße gibt, denn offensichtlich gibt es eine breite Volksbewegung, die mehrheitlich und sehr weitgehend gegen diese Rentenreform und die Art und Weise, wie sie im Parlament durchgesetzt wurde, eingestellt ist. Heute zu kommen und uns zu sagen, dass es keine Legitimität für diese Aktion gibt, ist extrem provokativ und außerdem historisch falsch. Das heißt, wieder einmal Öl ins Feuer zu gießen.“


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