Die Drohungen kamen nicht beiläufig daher. Inmitten neuer diplomatischer Initiativen zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine warnte Wladimir Putin Anfang Dezember 2025 erneut offen vor einem möglichen Krieg mit Europa. „Wir sind bereit, sofort“, erklärte der russische Präsident, wenn Europa sich für einen Krieg entscheide. Es war nicht das erste Mal, dass der Kreml-Chef eine derart scharfe Rhetorik wählte – wohl aber eine der deutlichsten. Drei Ereignisse der vergangenen zwei Jahre zeigen, wie systematisch Putin Europa als Kriegspartei darstellt – und sich zugleich als Verteidiger in Stellung bringt.
Die jüngste Warnung: „Wir sind bereit – wenn Europa es ist“
Am 2. Dezember 2025, am Rande eines Wirtschaftsforums in Moskau, erklärte Putin, Russland wolle zwar keinen Krieg, sei aber vorbereitet. Europa, so der Präsident, habe sich selbst aus den Friedensverhandlungen ausgeschlossen und sich stattdessen für die Unterstützung Kiews entschieden – also für den Krieg. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt: Kurz darauf sollte eine US-Delegation unter Leitung des Geschäftsmanns Steve Witkoff – ein Vertrauter Donald Trumps – Gespräche über einen Waffenstillstand aufnehmen. Putins Botschaft war klar: Moskau verhandelt mit Washington, nicht mit Brüssel – und wer nicht am Tisch sitzt, dem droht die Konfrontation.
Diese Rhetorik zielt auf mehrere Ebenen: Sie diskreditiert die europäische Politik als destruktiv, stellt Russland als reaktiv dar und hebt zugleich die eigene Gesprächsbereitschaft hervor. Doch sie signalisiert auch militärische Entschlossenheit – eine Botschaft, die vor allem an jene Staaten gerichtet ist, die militärisch aufrüsten oder neue Sicherheitsstrategien formulieren.
Im Herbst bereits angekündigt: „Die Antwort wird sehr überzeugend sein“
Bereits im Oktober 2025, bei einer Rede in Sotschi, hatte Putin eine schärfere Gangart gegenüber Europa angekündigt. Sollte der Westen weiter Waffen an die Ukraine liefern oder die eigene militärische Präsenz ausbauen, werde Russland entsprechend reagieren. In einer rhetorisch geschärften Passage verwies Putin auf Pläne Deutschlands, seine Armee wieder zur stärksten in Europa zu machen – eine Anspielung, die historische Tiefenwirkung entfaltet. Die Warnung: Wer sich militärisch in Stellung bringt, muss mit Konsequenzen rechnen.
Bemerkenswert ist die argumentative Umkehr: Russland, so das wiederkehrende Narrativ, sei nicht der Aggressor, sondern gezwungen zu reagieren – auf westliche Provokationen, auf eine „Militarisierung Europas“, auf eine angebliche Eskalation, die nicht von Moskau, sondern von Brüssel und Berlin ausgehe. Es ist ein klassisches Element russischer Außenrhetorik seit 2014: Verteidigung als Selbstbehauptung, Aggression als Notwehr.
März 2024: Als das Tabu der nuklearen Drohung fiel
Die bisher wohl gefährlichste Äußerung Putins in Richtung Europa erfolgte im März 2024. In einem Interview im staatlichen Fernsehen erklärte er, dass Russland „militärtechnisch“ bereit sei – auch mit nuklearen Mitteln. Der Kontext: Emmanuel Macron hatte zuvor öffentlich erwogen, europäische Truppen in die Ukraine zu entsenden, zumindest im Rahmen eines Sicherheitsengagements. Putins Antwort: Wenn Frankreich und andere EU-Staaten keine „roten Linien“ mehr gegenüber Russland anerkennen, werde auch Moskau sich nicht länger an solche Grenzen halten.
Diese Äußerung war kein Ausrutscher, sondern Ausdruck einer Strategie: die Abschreckung durch bewusste Ambiguität. Indem Russland nukleare Optionen implizit mitkonnotiert, erhöht es den psychologischen Druck auf europäische Regierungen – insbesondere jene, die militärische Hilfe intensivieren. Die Gefahr liegt nicht primär in der Umsetzung solcher Drohungen, sondern in ihrer kalkulierten Unklarheit: Sie destabilisieren, ohne sofort zu eskalieren.
Die Strategie hinter den Drohungen
Putins verbale Eskalationen gegenüber Europa folgen keinem erratischen Muster, sondern einem strategischen Kalkül. Die wiederholte Darstellung Russlands als verteidigende Macht, der Versuch, die EU aus zentralen diplomatischen Prozessen herauszudrängen, und die gleichzeitige Androhung ernsthafter Konsequenzen für jede Form von Unterstützung der Ukraine ergeben ein konsistentes Bild.
Dabei geht es nicht nur um politische Kommunikation nach innen – also um die Mobilisierung patriotischer Unterstützung in Russland selbst –, sondern auch um eine psychologische Einflussnahme auf europäische Entscheidungszentren. Die Botschaft: Wer sich einmischt, riskiert einen Krieg, für den Russland „bereit“ sei – nuklear, militärisch, strategisch.
Die damit einhergehende Unsicherheit ist Teil der russischen Taktik. Sie zielt darauf ab, Spaltungen innerhalb der EU zu vertiefen, etwa zwischen stärker engagierten Staaten wie Polen oder Frankreich und zurückhaltenderen wie Ungarn oder der Slowakei. Zugleich erhöht sie den Druck auf Regierungen, die Unterstützung für die Ukraine könnte „zu viel“ sein – und gefährlich werden.
Europa steht damit vor einem Dilemma: Jedes Zögern könnte als Schwäche ausgelegt werden, jede Festigkeit als Provokation. Doch wer sich auf diese Logik einlässt, akzeptiert die Deutungshoheit eines Systems, das sich bewusst außerhalb der regelbasierten Ordnung stellt. Die eigentliche Herausforderung liegt daher nicht in der militärischen Drohung selbst – sondern in ihrer systematischen Normalisierung.
Autor: P. Tiko
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