Der Boden unter Saint-Romain-de-Jalionas birgt Geschichten aus Jahrhunderten – und nun auch die Spuren eines beunruhigenden Verbrechens. Ende März wurde der gallo-römische Fundort im Département Isère das Ziel illegaler Ausgrabungen. Ein drastischer Fall, der Archäologen wie Kulturfreunde gleichermaßen erschüttert.
Robert Royet, erfahrener Archäologe und früherer Konservator des französischen Kulturministeriums, kennt jeden Stein dieses Areals. Seit 2020 gräbt er hier, entblättert Schicht für Schicht das Leben vergangener Epochen. Doch am 26. März, als er zurückkehrt, erwartet ihn kein Fund der Freude – sondern Verwüstung. Mit bloßem Auge erkennt er die unautorisierten Eingriffe: Spuren von Spaten, lose Erde, zerstörter Boden.
Am schlimmsten betroffen? Ein Abschnitt der Stätte, der eindeutig als rituelle Opferstätte identifiziert wurde – ein heiliger Ort, der jetzt entweiht und geplündert daliegt. Die Täter hatten es offenbar gezielt auf wertvolle Objekte abgesehen.
Ein archäologischer Albtraum.
Was diesen Fundort so besonders macht? Saint-Romain-de-Jalionas ist mehr als nur ein paar Mauerreste. Hier stand einst eine ausgedehnte Villa, die von der gallischen bis zur mittelalterlichen Zeit kontinuierlich bewohnt war – ein seltener Glücksfall für Historiker. Inmitten dieser Villa liegt ein Heiligtum, ein Kultbereich, der zu den seltensten seiner Art in Südfrankreich zählt. Man stelle sich vor, wie viele Einblicke in religiöse Praktiken, Alltagsleben und soziale Strukturen dieser Ort bietet – oder besser gesagt: bot.
Denn jede illegale Grabung zerstört mehr als nur Erde.
Sie reißt den Objekten ihren Zusammenhang aus dem Leib. Ein Fund ohne Kontext ist wie ein Buch ohne Seitenzahlen – man kann’s lesen, aber versteht kaum, was vorne und hinten ist. Für die Forschung ist das fatal. Der wissenschaftliche Wert sinkt ins Bodenlose.
Besonders alarmierend: Der Trend nimmt zu. Metalldetektoren sind mittlerweile erschwinglich und leicht verfügbar. Kombiniert mit gierigen Sammlerhänden und Unwissenheit oder Gleichgültigkeit gegenüber dem kulturellen Wert – ein toxisches Gemisch. Und das nicht nur in Frankreich.
Saint-Romain-de-Jalionas ist eigentlich gut geschützt. Der Ort ist gekennzeichnet, während der Europäischen Tage des Kulturerbes für Besucher geöffnet – eine Einladung an alle, Geschichte zu erleben, ohne sie zu beschädigen. Doch diesmal hat selbst dieser Rahmen nicht gereicht, um die Vandalen abzuhalten.
Was nun?
Royet und die Gemeinde haben Anzeige erstattet. Die Gendarmerie ermittelt. Doch der Schaden ist angerichtet. Die Fragen nach dem „Warum?“ und „Wer?“ stehen im Raum – aber noch drängender ist vielleicht: Wie lässt sich das in Zukunft verhindern?
Schutzmaßnahmen allein reichen offenbar nicht mehr aus. Es braucht auch eine breite gesellschaftliche Sensibilisierung. Denn der wahre Schatz dieser Stätten liegt nicht im Gold oder Bronze, sondern im Wissen, das sie uns schenken – wenn wir sie mit Respekt behandeln.
Ein Denkmal ist kein Selbstbedienungsladen für Schatzsucher.
Hier braucht es Aufklärung. Schon in den Schulen sollte vermittelt werden, wie bedeutsam archäologische Orte für unser Verständnis der Vergangenheit sind. Vielleicht sollte man auch mal einen Metalldetektor nicht nur als Spielzeug, sondern als potenzielle Waffe gegen das kulturelle Erbe begreifen.
Was bleibt, ist der Appell: Achtet diese Orte. Denn wer die Spuren der Geschichte verwischt, löscht nicht nur Vergangenheit – er raubt auch der Zukunft ihre Geschichten.
Und mal ehrlich: Wollen wir das wirklich?
Von C. Hatty
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