Tag & Nacht




Ein neues globales Netzwerk zeigt: Der Kampf gegen die Klimakrise beginnt an den Ufern der Welt


Ein historischer Moment am Mittelmeer

Nizza, 8. Juni 2025. Es ist ein sonniger Vormittag, die Palmen wiegen sich im Wind, das Meer glitzert – fast friedlich. Doch hinter dieser Idylle liegt ein enormer Druck: der steigende Meeresspiegel, immer heftigere Stürme, versinkende Lebensräume. Genau hier, am Rande Europas, haben sich Vertreter*innen von rund 200 Küstenstädten aus aller Welt getroffen, um sich zur International Coastal Climate Alliance (ICCA) zusammenzuschließen – einem Bündnis, das die Zeichen der Zeit erkannt hat.

Die Initiative steht unter dem Dach der Vereinten Nationen und hat ihren Sitz dort, wo das Meer die Stadt küsst: in Nizza. Ihr Ziel? Einen kollektiven Schutzschirm gegen die zunehmenden Klimarisiken zu spannen. Denn eines ist klar: Keine Küstenstadt der Welt wird die Folgen der Klimakrise im Alleingang bewältigen können.


Bedrohung auf leisen Sohlen – und manchmal mit voller Wucht

Bis 2050 könnten laut neuesten Projektionen über eine Milliarde Menschen in Gebieten leben, die weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel liegen. Das bedeutet: Überflutungen, Sturmfluten und langfristige Erosion – all das wird für einen wachsenden Teil der Menschheit zur existenziellen Realität.

Klingt abstrakt? Ist es nicht. Der Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, brachte es auf den Punkt: „Wir zählen den Anstieg des Wassers nicht in Zentimetern, sondern in der Anzahl der Menschen, die umgesiedelt werden müssen.“

Er hat recht. Jede Überschwemmung ist eine Geschichte von Verlust – von Heimat, von Infrastruktur, von Sicherheit. Und während in manchen Regionen Häuser abgesichert oder neu gebaut werden, geht es in anderen schlicht ums Überleben.


Globale Allianz mit lokalem Fokus

Doch was genau plant diese neue Klima-Allianz? Ihre Struktur beruht auf einem dezentralen, aber gut vernetzten Modell:

  • Regelmäßige Online-Konferenzen: So bleiben auch weit entfernte Städte wie Valparaíso in Chile und Osaka in Japan im ständigen Austausch.
  • Jährliche Gipfeltreffen, bei denen konkrete Projekte diskutiert und beschlossen werden. Das nächste Treffen findet 2026 in Marokko statt – ein symbolträchtiger Ort, wo Wüste und Meer aufeinandertreffen.
  • Arbeitsgruppen mit Fachleuten aus Wissenschaft, Stadtplanung und Zivilgesellschaft. Ihre Aufgabe: Bedrohungen analysieren und maßgeschneiderte Strategien entwickeln.

Und ganz zentral: Die enge Zusammenarbeit mit Entwicklungsbanken, die dafür sorgen sollen, dass nicht nur reiche Metropolen, sondern auch ärmere Städte Mittel zur Verfügung gestellt bekommen.


Warum braucht es überhaupt eine eigene Allianz?

Weil Küstenstädte ganz eigene Herausforderungen haben – unabhängig vom globalen CO₂-Ausstoß. Hier treffen ökologische Verwundbarkeit, ökonomische Abhängigkeit vom Tourismus und soziale Ungleichheiten oft direkt aufeinander. Klimaschutz und Klimaanpassung müssen in solchen Regionen Hand in Hand gehen.

LaToya Cantrell, Bürgermeisterin von New Orleans, bringt es dramatisch, aber treffend auf den Punkt: „Es geht nicht darum, ob es passiert – sondern wann.“


Wissenschaftliche Erkenntnisse: Die Lage ist ernster als gedacht

Neue Studien zeichnen ein deutliches Bild: Küstenregionen sind bereits heute stärker betroffen als bisher angenommen. Ein Team von US-amerikanischen Forscher*innen untersuchte etwa die Situation in North Carolina und kam zu einem beunruhigenden Ergebnis: Herkömmliche Messmethoden unterschätzen die tatsächliche Häufigkeit von Überflutungen – teils massiv.

Auch Europa bleibt nicht verschont. Frankreichs CEREMA rechnet bis 2100 mit über 500.000 Hektar verlorenem Küstenland – das entspricht mehr als fünf Mal der Fläche Berlins. Die wirtschaftlichen Schäden werden in Milliardenhöhe erwartet. Doch wie beziffert man den Verlust eines jahrhundertealten Fischerdorfs? Oder eines Ökosystems, das nirgends sonst existiert?


Vom Reden zum Handeln: Was könnte konkret geschehen?

Natürlich, jede Stadt hat andere Voraussetzungen. Aber das Schöne an einer globalen Allianz: Man kann voneinander lernen.

  • Singapur testet schwimmende Wohnviertel.
  • Kopenhagen baut öffentliche Plätze, die bei Starkregen Wasser aufnehmen.
  • Jakarta plant eine Teilverlegung der Hauptstadt wegen des steigenden Meeresspiegels – kein Scherz.

Und was, wenn diese Ideen geteilt, angepasst und skaliert würden? Wenn Dakar von Venedigs Hochwasserschutz lernt – und umgekehrt?


Finanzierung: Woher kommt das Geld?

Ein neuralgischer Punkt. Klimaanpassung kostet – und viele Küstenstädte, gerade im Globalen Süden, stehen mit dem Rücken zur Wand. Daher wird ein zentraler Pfeiler der neuen Allianz die Partnerschaft mit Entwicklungsbanken und Klimafonds sein.

Die Vision: Ein fairer Ausgleich zwischen emissionsstarken Ländern und jenen, die zwar kaum zur Erderhitzung beitragen, aber ihre schlimmsten Folgen spüren.

Und Hand aufs Herz: Ist das nicht eine längst überfällige Form von Gerechtigkeit?


Die Kraft der Gemeinschaft – und warum Hoffnung nicht naiv ist

Natürlich: So ein Bündnis ersetzt keine globale Emissionsminderung. Aber es ist ein starkes Signal – ein Aufbruch. Während die internationale Klimapolitik oft in zähen Verhandlungen verharrt, zeigen diese Städte: Wir warten nicht mehr. Wir handeln.

Da ist ein Gefühl von Solidarität zu spüren, das selten geworden ist in dieser Zeit. Eine Bürgermeisterin aus Fidschi sagte beim Gründungstreffen: „Wenn mein Dorf untergeht, will ich wenigstens wissen, dass ich nicht allein war.“

Diese Worte bleiben hängen.


Zwei unbequeme Fragen zum Schluss:

  1. Was passiert mit den Millionen Menschen, deren Zuhause in 30 Jahren nicht mehr existiert – wohin gehen sie, wer nimmt sie auf?
  2. Und wie lange wollen wir noch zusehen, bis auch unsere eigene Küstenstadt betroffen ist – sei es Sylt, Venedig oder Miami?

Ein persönlicher Blick

Ich habe selbst viele Jahre in der Nähe der Nordseeküste gelebt, zwischen Salzwiesen, Deichen und Windrädern. Ich kenne das beruhigende Grollen der Wellen, aber auch die stille Angst vor der nächsten Sturmflut.

Was mich bewegt: Noch gibt es Chancen. Noch haben wir Handlungsspielräume. Die neue Klima-Allianz zeigt, dass es nicht nur um Technologie und Planung geht – sondern auch um Mut, Empathie und Zusammenhalt.

Es wird nicht leicht. Aber wenn Küstenstädte weltweit sich zusammenschließen, dann – und nur dann – können wir vielleicht die größte Herausforderung unserer Zeit gemeinsam bewältigen.

Von Andreas M. Brucker


Quellen:

https://twitter.com/francediplo/status/1931607124951568839
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