Rot, dunkler Rot, fast Braun – als würde der Weltuntergang vor der Tür stehen.
Genau diesen Eindruck prangern Klimaskeptiker derzeit an. Ihre These: Wetterdienste manipulieren die Farben ihrer Karten, um Hitze extremer wirken zu lassen und Angst zu schüren. Klingt nach Verschwörung? Das meinen zumindest Meteorologen und Klimaforscher, die der Sache auf den Grund gehen.
Aktueller Anlass: Zwei Départements in Frankreich – Rhône und Isère – standen am Morgen des 24. Juni erneut unter Hitzewarnung der Stufe Orange. Temperaturen jenseits der 35 Grad. Doch statt über Ventilatoren und Schattenplätze zu sprechen, drehten sich die Debatten auf Social Media um die Farbpalette der Wetterkarten.
Die Theorie kursiert: Meteorologen färben dieselben Temperaturen heute röter als früher – angeblich, um die Bevölkerung gefügig für Klimaschutzmaßnahmen zu machen. Ausgelöst wurde die jüngste Welle von Aussagen des französischen Kommentators Frédéric Hermel auf RMC. Seine Worte:
„Da, das ist jetzt rotbraun. Rotbraun heißt Weltuntergang. Ich glaube, das macht den Menschen Angst. Wo früher Grün war, ist heute Rotbraun.“
Der Abgeordnete Stéphane Vojetta schlug in dieselbe Kerbe. Für ihn sei klar, dass sich die Farben „von Jahr zu Jahr verdunkeln, bei identischen Temperaturen“.
Doch stimmt das überhaupt?
Meteorologen winken ab. Solche Kartenvergleiche seien schlicht irreführend. Häufig zeigen geteilte Screenshots unterschiedliche Sender – jeder mit eigener Farbskala. Oder es fehlen Datumsangaben, wodurch Äpfel mit Birnen verglichen werden.
Ein fundamentaler Denkfehler steckt ebenfalls in der Theorie: Die Farben zeigen nicht nur absolute Temperaturen, sondern das Temperaturdelta zur saisonalen Norm. Serge Zaka, Agroklimatologe und auf X äußerst aktiv, erklärt es so: Je größer die Abweichung von der jahreszeitlichen Durchschnittstemperatur, desto dunkler rot wird die Karte. Im Klartext: Wenn die Sommer heißer werden, steigen nicht nur die Temperaturen, sondern auch ihre Abweichung vom einstigen „Normalwert“.
Was bedeutet das?
Vergleiche zwischen Karten verschiedener Jahre ergeben keinen Sinn – weil sich die Durchschnittswerte selbst ändern. Eine Temperatur von 23 Grad Ende Juli 2002 wurde orange dargestellt. Heute gilt sie als kühl und erscheint blau. Das zeigt ein Test des BFM-Meteorologen Guillaume Séché, der sich die Farb-Chronologie des französischen TV-Senders TF1 ansah. Ergebnis: Seit Anfang der 2000er-Jahre blieb deren Grafiksystem unverändert.
Ein Stich ins Herz aller Verschwörungstheorien.
Denn wenn Meteorologen bewusst manipulieren würden, gäbe es massive Abweichungen in den eigenen Archiven. Doch genau das Gegenteil zeigt sich: Wo früher Orange war, ist heute Blau – einfach, weil die Durchschnittstemperatur gestiegen ist.
Diese hitzige Diskussion um rote Karten reiht sich ein in ein breiteres Muster. Eine Studie des CNRS von 2023 identifizierte rund 10.000 klimaleugnende Twitter-Konten in Frankreich. Viele überschneiden sich mit antivax- und anti-systemischen Milieus, teils auch mit extrem rechten Gruppen. Mehr als die Hälfte dieser Accounts verbreiten gleichzeitig prorussische Narrative zum Ukrainekrieg. Bemerkenswert: Diese Szene hat rund dreimal so viele Fake-Accounts wie andere Themenbereiche – oft Bots oder bezahlte Profile, die ihre Reichweite künstlich aufblähen.
Es drängt sich eine Frage auf: Wenn Wetterkarten wirklich manipuliert würden – warum sollten Meteorologen dann öffentlich die Unterschiede derselben Grafiken entlarven?
Die Antwort liefert der gesunde Menschenverstand. Wetterdienste haben kein Interesse daran, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Ihre Existenz lebt von Vertrauen und Präzision. Für Verschwörungstheorien bleibt da wenig Raum – egal ob es draußen 23 oder 35 Grad hat.
Autor: Daniel Ivers
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!