Tag & Nacht


Erst waren es Verspätungen. Dann fielen einzelne Flüge aus. Jetzt droht dem gesamten US-Luftverkehr ein systemischer Kollaps – mit Folgen bis nach Europa.

Am heutigen Tag sind es exakt 677 Flüge, die laut FlightAware in den USA gestrichen wurden. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs: Zehntausende Verbindungen haben mittlerweile Verspätung. Wer dieser Tage versucht, von New York nach Los Angeles zu kommen – oder aus Paris via Chicago nach San Francisco –, braucht vor allem eines: Geduld.

Denn das System wankt.

Die US-Flugsicherung schlägt Alarm. Die zuständige Bundesluftfahrtbehörde FAA will bereits ab Freitag den Verkehr an rund 40 Großflughäfen um bis zu zehn Prozent drosseln. So drastisch war die Lage zuletzt nur in Extremsituationen wie 9/11 oder der Corona-Krise.

Was ist da los?

Zwei Worte genügen, um das Problem auf den Punkt zu bringen: Personalmangel und Kaskadeneffekt.

Seit Wochen zieht sich der politische Shutdown wie Nebel durch die Infrastruktur der USA. Tausende Fluglotsen und Sicherheitskräfte arbeiten derzeit ohne Bezahlung – eine Situation, die nicht nur die Moral, sondern auch die Betriebssicherheit untergräbt. Die Transportation Security Administration (TSA) arbeitet am Limit. Die FAA warnt: An kritischen Kontrollpunkten sei die Grenze zur Gefährdung überschritten. Ein Zustand, der aus sicherheitstechnischer Sicht schlicht nicht haltbar ist.

Hinzu kommt: In der Luftfahrt ist jeder Flug ein Puzzleteil. Gerät eines aus dem Takt, verschiebt sich das ganze Bild. Der Fachbegriff lautet „kaskadierender Effekt“. In der Praxis heißt das: Ein verspäteter Abflug in Atlanta kann dafür sorgen, dass später in Denver ein Anschlussflug ausfällt – und in Boston gleich noch einer.

Der Himmel über Amerika ist derzeit kein freier Raum – er ist ein Staugebiet.

Flughäfen als Stresszentren

San Francisco ist nur ein Beispiel. Dort wurden an einem einzigen Tag mehr als 270 Verspätungen und sechs komplette Streichungen registriert. Der Flughafen, ein Drehkreuz für internationale und transkontinentale Verbindungen, zeigt in Miniaturform, was gerade landesweit geschieht: Der Takt stimmt nicht mehr. Und mit jeder weiteren Verschiebung nimmt der Druck zu.

Zugleich stehen die Feiertage vor der Tür. Thanksgiving, Weihnachten, Neujahr – die große Reisewelle rollt an. Schon jetzt wird überlegt, wie man den Ansturm mit reduzierter Kapazität bewältigen soll. Man stelle sich einen ICE ohne Lokführer oder ein Krankenhaus ohne Notaufnahme vor – genauso fühlt sich derzeit ein US-Großflughafen an.

Europa bleibt nicht außen vor

Was hat das alles mit Europa zu tun?

Mehr als viele denken. Die transatlantischen Flugverbindungen hängen stark an den amerikanischen Hubs – und wenn dort Flüge gestrichen werden, trifft das auch Maschinen aus Frankfurt, Paris oder Madrid. Wer etwa über New York JFK in die Karibik reisen möchte, könnte plötzlich in Washington stranden. Oder in Chicago auf seinen Anschluss warten, der nie kommt.

Der europäische Luftverkehr ist eng verzahnt mit dem amerikanischen System – und damit auch dessen Schwächen ausgesetzt.

Politik als Turbulenzverstärker

Der eigentliche Skandal aber ist politischer Natur. Ein Shutdown, der zentrale Infrastruktur lahmlegt, ist kein Betriebsunfall. Er ist das Ergebnis eines Systems, das sich selbst blockiert. In Washington wird taktiert – in Atlanta müssen deswegen Fluggäste stundenlang ausharren.

Dass nun eine zehnprozentige Reduktion des Flugverkehrs als Maßnahme im Raum steht, zeigt, wie fragil das System geworden ist. Nicht der Wintereinbruch, nicht ein Vulkanausbruch, nicht ein Streik – sondern die Politik selbst bringt den Betrieb zum Erliegen.

Wohin fliegt Amerika?

Die große Frage lautet: Ist das nur eine temporäre Störung – oder der Anfang einer strukturellen Erosion?

Denn wenn ein einziges politisches Ereignis reicht, um das Rückgrat des Luftverkehrs zu brechen, wie soll das System dann auf kommende Herausforderungen reagieren? Extremwetter, digitale Ausfälle, Cyberangriffe – alles längst keine Science-Fiction mehr.

Amerikas Luftraum ist engmaschig, aber offenbar nicht krisenfest.

Was Reisende jetzt tun können

Wer in den nächsten Tagen in die USA fliegen muss – oder von dort zurück –, sollte regelmäßig seinen Flugstatus checken, alternative Verbindungen im Auge behalten und gegebenenfalls flexibel umbuchen.

Besonders betroffen: Drehkreuze wie New York, Chicago, Dallas, Atlanta und San Francisco. Von hier gehen die meisten internationalen Verbindungen – und hier treffen die größten Verspätungswellen zuerst ein.

Am Ende bleibt die Frage

Wie lange kann ein System fliegen, das sich selbst den Treibstoff kappt?

Denn genau das geschieht gerade – in der wohl größten Luftfahrt-Nation der Welt.

Autor: Andreas M. Brucker

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