Tag & Nacht




Ein Interview über Fußball. Ein Visum für Touristen. Und plötzlich: Sieben Jahre Gefängnis.

Die Nachricht schlug am 29. Juni ein wie ein Blitzschlag über dem Mittelmeer.

Christophe Gleizes, 36 Jahre alt, Sportjournalist aus Frankreich, wurde in Algerien zu einer langen Haftstrafe verurteilt – wegen „Apologie des Terrorismus“ und „Besitzes von Publikationen in einem propagandistischen Zweck, der dem nationalen Interesse schadet“.

Klingt nach einem düsteren Politthriller, oder?

Doch die Geschichte ist real. Und sie erzählt viel über die fragilen Beziehungen zwischen Paris und Algier – und über die wachsende Unsicherheit für Journalisten in politisch sensiblen Regionen.

Christophe Gleizes schreibt regelmäßig für So Foot und Society. Im Mai 2024 reiste er nach Algerien, um eine Reportage über die Jeunesse Sportive de Kabylie (JSK) zu verfassen, den wohl legendärsten Fußballclub der Kabylei.

Ein Verein, der nicht nur für sportliche Triumphe steht, sondern auch für regionale Identität und Selbstbewusstsein.

Am 28. Mai 2024, nach seiner Ankunft in Tizi Ouzou, wurde er plötzlich festgenommen. Der Vorwurf: Einreise mit Touristenvisum statt Journalistenvisum – und Kontakte zu einer Organisation, die von Algier als Terrorgruppe eingestuft wird.

Seitdem stand er 13 Monate unter richterlicher Aufsicht und durfte das Land nicht verlassen. Nun die endgültige Strafe: Sieben Jahre Gefängnis.

Die Anklage: Terrorpropaganda?

Was genau wirft man Gleizes vor?

Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf Nachrichten zwischen ihm und dem Präsidenten des Fußballclubs JSK. Doch dieser ist nicht nur Vereinschef, sondern auch Funktionär des MAK – des „Mouvement pour l’autodétermination de la Kabylie“, das 2021 von Algerien als terroristische Organisation eingestuft wurde.

Das Problem: Die Nachrichten stammten aus den Jahren 2015 und 2017. Damals galt der MAK nicht als Terrorgruppe. Nach Recherchen von Reporter ohne Grenzen (RSF) dienten die Kontakte ausschließlich der Vorbereitung journalistischer Beiträge über den Club.

Mit anderen Worten: Gleizes hatte nur seinen Job gemacht.

Frankreich reagiert mit scharfen Worten

In Paris herrscht Entsetzen. Das französische Außenministerium sprach von „tiefer Besorgnis“. Mehrere Senatoren nannten das Verfahren „völlig unverhältnismäßig“ und fordern eine Korrektur in der Berufungsinstanz.

Doch Algier bleibt bisher unnachgiebig.

Und die diplomatische Stimmung? Sie ist ohnehin frostig. Frankreich hatte kürzlich den marokkanischen Autonomieplan für die Westsahara unterstützt – Algeriens Erzfeind Marokko profitierte, Algerien tobte. Diplomaten wurden ausgewiesen, Kooperationen eingefroren, der Ton verschärfte sich. Nun verschärft der Fall Gleizes diese Krise zusätzlich.

„Ein Angriff auf die Pressefreiheit“

Reporter ohne Grenzen schlägt Alarm. „Hier wird ein Journalist bestraft, weil er seinen Beruf ausgeübt hat“, kritisiert die Organisation. Sie fordert seine sofortige und bedingungslose Freilassung. Auch eine Petition für seine Freilassung wurde gestartet.

Denn Gleizes ist kein Einzelfall. Algerien hat in den vergangenen Jahren wiederholt Reporter verhaftet.

Da wäre etwa Ihsane El Kadi, 2023 zu sieben Jahren Haft verurteilt, oder Khaled Drareni, der 2020 für seine Berichterstattung über die Hirak-Proteste eingesperrt wurde. Solche Urteile zeichnen ein düsteres Bild für die Pressefreiheit im Land.

Ein Land, ein Club, eine Identität

Der JSK ist nicht irgendein Fußballverein. In der Kabylei gilt der Club als Symbol des Widerstands und der kulturellen Selbstbehauptung. Seine Anhänger tragen ihre Farben mit Stolz, nicht nur aus sportlicher Leidenschaft, sondern aus einem Gefühl von Identität.

Vielleicht war es genau dieser Aspekt, der Christophe Gleizes faszinierte. Vielleicht war es auch dieser Aspekt, der die algerischen Behörden alarmierte.

Denn Fußball ist in Algerien nie nur ein Spiel. Er ist Bühne, Ventil, Sprachrohr. Ein kleines Mikrofon kann dort schnell als große Bedrohung wahrgenommen werden.

Was passiert jetzt?

Christophe Gleizes hat Berufung eingelegt. Doch bis Oktober wird es kein neues Verfahren geben – frühestens zur nächsten Session der Strafkammer.

Bis dahin bleibt er im Gefängnis von Tizi Ouzou.

Für Journalisten weltweit ist sein Schicksal eine ernüchternde Mahnung: Berichterstattung über vermeintlich harmlose Themen kann in politisch aufgeladenen Ländern zu lebensverändernden Konsequenzen führen.

Wo endet Berichterstattung, wo beginnt „Propaganda“?

Diese Frage stellt sich in vielen autoritär regierten Staaten. Doch im Fall Gleizes scheint die Antwort eindeutig. Laut RSF hat er nicht glorifiziert, nicht zu Gewalt aufgerufen, nicht Partei ergriffen. Er hat recherchiert, gefragt, zugehört – das, was Journalisten tun.

Und trotzdem wird er dafür bestraft.

Bis Oktober bleibt Gleizes in Haft. Seine Familie, seine Kollegen, und Frankreich hoffen, dass die algerische Justiz das Urteil noch einmal überprüft. Doch viele fürchten, dass der Fall längst zu einem Politikum geworden ist, in dem Vernunft und Rechtsstaatlichkeit auf der Strecke bleiben.

Ob sein Prozess zur Bewährungsprobe für die Pressefreiheit in Algerien wird?

Oder lediglich ein weiterer Beweis, dass Worte in manchen Ländern gefährlicher sein können als Waffen?

Autor: Daniel Ivers

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