Tag & Nacht




Was nach einem Schildbürgerstreich klingt, ist bald Realität: In immer mehr französischen Bahnhöfen wird der klassische Fahrkartenschalter verschwinden. Und statt am Gleis könnte man sein Ticket künftig… am Postschalter kaufen.

Ein Abschied mit Ansage.

Seit Jahren zieht sich die SNCF aus kleineren Bahnhöfen zurück, doch jetzt nimmt der Prozess richtig Fahrt auf. In der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur werden ab September 2025 ganze 26 Bahnhöfe ihre personell besetzten Schalter verlieren. Im Grand Est trifft es im Januar 2026 weitere 13.

Der Grund? Angeblich zu wenig los: Sechs bis zehn verkaufte Tickets pro Tag rechtfertigen laut SNCF keinen eigenen Schalter mehr.

Zahlen lügen nicht – und sagen manchmal trotzdem nicht alles. Ja, mehr als 80 % der Tickets werden inzwischen digital gekauft. Apps, Websites, Automaten – das reicht den meisten. Aber während die Technik boomt, boomt auch der Verkehr: Die Nutzung der Regionalzüge (TER) ist allein zwischen 2023 und 2024 um zehn Prozent gestiegen.

Ein Widerspruch? Keineswegs. Sondern ein Beleg dafür, wie wichtig das Bahnangebot bleibt – auch, oder gerade, abseits der Metropolen.

Die Post soll’s richten

Wo die Bahn sich zurückzieht, sucht man Alternativen. In der Region Sud ist bereits beschlossen: Ab Herbst 2025 werden 26 Postfilialen in Bahnhofs-Orten ohne Ticketschalter den Verkauf von TER-Fahrkarten übernehmen.

Das klingt pragmatisch. Schließlich ist die Post vielerorts der letzte verbliebene Anker eines schrumpfenden öffentlichen Netzes. Warum also nicht das, was noch da ist, gemeinsam nutzen?

Die Idee folgt dem Prinzip „territoriales Netzwerken“: Wer Dienstleistungen bündeln kann, hält die Versorgung auf dem Land am Leben. Oder doch nicht?

Widerstand auf Schienen

Nicht alle winken das neue Modell durch. Eisenbahngewerkschaften sprechen von „organisierter Demontage öffentlicher Dienste“. Der Verlust der Schalter sei kein Schritt in die Zukunft, sondern ein Rückzug aus der Fläche.

Insbesondere für ältere Menschen, digital weniger versierte Fahrgäste oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen sei der direkte Kontakt am Bahnhof oft unverzichtbar. Der Schalter ist für sie mehr als ein Verkaufsort – er ist Schnittstelle, Ansprechpartner, Sicherheit.

Die Kritik trifft einen wunden Punkt. Denn auch wenn die Post einspringt, bleiben Fragen offen: Wie gut sind Postangestellte auf komplexe Bahntarife, Erstattungen oder kurzfristige Störungen vorbereitet? Können sie wirklich die ganze Bandbreite abdecken – oder nur ein abgespecktes Basisangebot?

Die Gefahr liegt in der Verwässerung: Wer heute am Postschalter eine einfache Regionalfahrt buchen kann, muss für Fernzüge oder Sonderfälle womöglich doch wieder ins Internet. Oder ganz verzichten.

Von der Bahn zur App – oder zur Absage?

Was bleibt, sind Automaten, mobile Verkaufsbusse, Partner-Kioske, Apps wie SNCF Connect – laut Unternehmen sind 96 % der Reisenden schon jetzt irgendwie versorgt.

Aber: Zwischen „irgendwie versorgt“ und „gut betreut“ liegt ein Unterschied wie zwischen Kaffeeautomat und Café.

Denn der eigentliche Verlust ist kein technischer – sondern ein menschlicher. Mit jedem geschlossenen Schalter verliert die Bahn ein Stück greifbare Präsenz. Wer sein Ticket vom Menschen bekommt, bekommt auch Orientierung, Gespräch, Verständnis. Was bleibt, ist ein kalter Bildschirm.

Und der Gang zur Post?

Der wirkt fast wie ein Anachronismus – oder wie der Versuch, analoge Hilfe in einer digitalen Welt zu retten.

Der Anfang vom Ende – oder der Anfang von etwas Neuem?

Vielleicht ist all das nur Ausdruck eines größeren Trends: Öffentliche Dienstleistungen ziehen sich zurück, das Digitale übernimmt – und der Bürger wird zum Nutzer, der sich selbst helfen muss.

Aber wohin führt dieser Weg?

Die Post als Verkaufsstelle kann eine Übergangslösung sein. Eine Brücke. Vorausgesetzt, man investiert in Schulungen, in Infrastruktur, in Flexibilität. Sonst wird aus der Brücke eine Einbahnstraße.

Denn ein modernes Bahnsystem braucht mehr als nur Technik. Es braucht Menschen – auch vor Ort. Wenn man das übersieht, riskiert man nicht nur Frust bei den Fahrgästen, sondern auch ein wachsendes Stadt-Land-Gefälle.

Die Frage, die bleibt: Wollen wir wirklich eine Bahn, die überall fährt – aber nirgends mehr wirklich da ist?

Autor: Daniel Ivers

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