Mitten im Herzen von Marseille ist Schluss mit dem Dauerbrummen der Reisebusse. Seit dem 10. Oktober gilt am berühmten Vieux-Port ein rigoroses Verbot: Touristenbusse dürfen dort weder fahren noch parken – in weiten Teilen des historischen Zentrums.
Ein Schnitt mit Symbolkraft
Die Entscheidung kam nicht aus dem Nichts. Der Vieux-Port, einer der meistfotografierten Orte der Stadt, war in den letzten Jahren mehr Parkplatz als Postkartenmotiv. Reisebusse reihten sich Stoßstange an Stoßstange, viele mit laufendem Motor, während die Passagiere durch die Altstadt flanierten. Das sorgte für dicke Luft – wortwörtlich.
Die Stadt hat jetzt die Reißleine gezogen. Das neue Verbot betrifft zahlreiche Straßen und Plätze rund um den Alten Hafen: Von der Place de Lenche über die Rue Méry bis hin zum Quai du Port. Nur wenige Abschnitte bleiben für Reisebusse unter bestimmten Bedingungen befahrbar. Und: Die Maßnahme gilt sofort – keine Übergangsfrist, kein Pardon.
Warum dieser Schritt jetzt?
Die Stadt verfolgt drei klare Ziele: Ruhe, Luft und Raum.
Erstens: die Lebensqualität. Anwohnerinnen und Anwohner hatten sich über Jahre beschwert. Zu laut, zu stickig, zu voll – die Beschwerden häuften sich, besonders im Sommer. Das Dauergrollen der Dieselmotorene vertrug sich weder mit dem morgendlichen Kaffee auf dem Balkon noch mit einem gemütlichen Einkaufsbummel.
Zweitens: die touristische Balance. Wenn alle Busse am Vieux-Port halten, staut sich der Tourismus buchstäblich auf einem Fleck. Die Stadt will die Besucherströme entzerren und auch weniger überlaufene Viertel ins Rampenlicht rücken.
Drittens: die Stadtkulisse. Der Vieux-Port ist ein architektonisches Aushängeschild. Reisebusse, die die Sicht auf die historischen Fassaden verstellen, passen da einfach nicht ins Bild.
Zwischen Stolperstein und Chance
Natürlich bleibt die neue Regelung nicht ohne Reibung.
Touristikunternehmen stehen vor einer logistischen Herausforderung: Wo können sie ihre Gäste nun ein- und aussteigen lassen? Viele Rundfahrten starteten bisher direkt am Hafen – der perfekte Ort, um Marseille im Panorama zu begrüßen. Jetzt braucht es Alternativen: neue Haltepunkte, eventuell längere Fußwege oder zusätzliche Shuttle-Verbindungen.
Auch die lokale Wirtschaft schaut mit gemischten Gefühlen auf das Verbot. Weniger Busse vor der Tür bedeuten womöglich auch weniger Laufkundschaft in Cafés, Souvenirshops oder Bäckereien.
Tourismus lenken, nicht stoppen
Marseille reiht sich mit dieser Maßnahme in eine wachsende Liste europäischer Städte ein, die dem Massentourismus Grenzen setzen wollen. Städte wie Barcelona, Amsterdam oder Venedig haben ähnliche Verbote oder Beschränkungen erlassen – aus denselben Gründen: zu viele Besucher auf zu kleinem Raum.
Dabei geht es nicht darum, Gäste fernzuhalten. Im Gegenteil: Marseille lebt (auch) vom Tourismus. Doch das Rezept scheint sich zu ändern. Statt „mehr, schneller, dichter“ lautet die neue Devise: „qualitativ, verteilt, nachhaltig“.
Und was nun?
Die Umsetzung wird spannend. Wird das Verbot den gewünschten Effekt haben – oder nur die Probleme verlagern?
Möglich wäre ein Ausbau elektrischer Shuttlebusse, die Besucher von außerhalb ins Zentrum bringen. Denkbar sind auch spezielle Haltezonen am Rand der Altstadt, an denen Reisende bequem umsteigen können. Vielleicht entstehen sogar ganz neue touristische Routen, abseits der ausgetretenen Pfade.
Ein Wandel mit Weitsicht
Was in Marseille passiert, ist mehr als eine Verkehrsanordnung. Es ist ein Versuch, das fragile Gleichgewicht zwischen Tourismus und Stadtleben neu auszuloten. Ein Schritt in Richtung einer Stadt, die wieder Luft holen will – und dabei nicht den Anschluss an ihre Gäste verliert.
Der Vieux-Port wird leiser. Und vielleicht ein bisschen schöner.
Autor: Andreas M. B.
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