Mitten in der Nacht kracht es plötzlich, als hätte jemand eine Kanone abgefeuert. Die Bewohner von Toulouse wurden am frühen Morgen des 4. Juni durch zwei gewaltige Explosionen aus dem Schlaf gerissen – doch es war weder ein Unfall noch ein Anschlag. Es war das Werk der Natur.
Zwei sogenannte Superblitze – äußerst seltene, extrem starke Blitze – schlugen innerhalb von nur fünf Minuten ein und ließen selbst entfernt gelegene Fenster zittern.
Toulouse unter Strom: Ein nächtlicher Weckruf der besonderen Art
Um 00:39 Uhr zuckte der erste dieser Monsterblitze über den Himmel der südfranzösischen Stadt. Nur fünf Minuten später, um 00:44 Uhr, folgte der zweite. Beide Einschläge übertrafen mit Leichtigkeit das, was man sonst bei Gewittern erwartet. Während ein „normaler“ Blitz Stromstärken von etwa 30.000 Ampere erreicht, brachten es diese beiden auf satte 196.000 und 184.000 Ampere – laut Daten meteorologischer Plattformen.
Ein Bewohner aus dem Umland schildert: „Ich wohne 15 Kilometer südlich von Toulouse und mein Schlafzimmerfenster hat vibriert wie bei einer Explosion.“
Und das ist keine Übertreibung. Superblitze – oder „superbolts“, wie sie international genannt werden – sind so heftig, dass sie den Donner zu einem tiefen, rollenden Grollen werden lassen. Kein schnelles Knacken, sondern ein Bass, der durch Mark und Bein geht.
Was sind eigentlich Superblitze?
Der Begriff „Superbolt“ ist kein Ausdruck aus einem Science-Fiction-Film, sondern stammt aus der meteorologischen Forschung. Es handelt sich um extrem energiegeladene Blitze, deren elektrische Entladung mindestens zehnmal stärker ist als die eines durchschnittlichen Blitzes.
Noch spektakulärer: Einige Superblitze erreichen sogar die tausendfache Stärke eines normalen Blitzes – ein Naturphänomen, das seltener auftritt als ein Lottogewinn.
Die NASA registrierte diese Erscheinungen erstmals in den 1970er Jahren mit speziellen Satelliten. Seither gelten Superblitze als wissenschaftliche Raritäten – und als Warnsignal dafür, wie unberechenbar und mächtig das Wetter sein kann.
Der Sturm über Okzitanien – mehr als nur ein Wetterumschwung
Nicht nur Toulouse bekam in dieser Nacht den Zorn des Himmels zu spüren. Schon am Dienstagabend zogen schwere Gewitter über mehrere Départements in der Region Okzitanien hinweg. Die französische Wetterbehörde hatte für die Haute-Garonne, die Hautes-Pyrénées und den Gers eine sogenannte „vigilance orange“, also eine Warnstufe für mögliche Überflutungen und starke Regenfälle, ausgegeben.
Die Gemeinde Boussens etwa war von massiven Niederschlägen betroffen – mit Überschwemmungen und starkem Oberflächenwasser.
Die meteorologische Lage war also angespannt. Aber dass ausgerechnet Toulouse von zwei Superblitzen getroffen wird – das passiert nicht alle Tage.
Der Moment, wenn sich die Natur mit voller Wucht in Erinnerung bringt
Solche Ereignisse sind für Meteorologen faszinierend – und für viele Menschen auch beängstigend. Denn sie zeigen, wie wenig wir das Wetter letztlich kontrollieren.
Wenn der Himmel sich plötzlich entlädt, wenn ein Grollen wie aus einem Katastrophenfilm durchs Land zieht, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als innezuhalten. Zu beobachten. Und zu staunen.
Oder auch: sich unter die Decke zu verkriechen und zu hoffen, dass es bald wieder ruhig wird.
Was bedeuten solche Blitze für die Zukunft?
Könnte es sein, dass Superblitze in Zukunft häufiger auftreten? Die Klimaforschung diskutiert diese Frage bereits seit einigen Jahren. Denn mit der globalen Erwärmung verändert sich nicht nur die Temperatur – auch die Dynamik von Gewittern scheint sich zu verschärfen.
Mehr Hitze bedeutet mehr Energie in der Atmosphäre. Und mehr Energie bedeutet, dass sich Gewitterzellen potenziell intensiver entladen – was die Entstehung von Superblitzen begünstigen könnte.
Ob das in Toulouse ein Einzelfall bleibt oder zum Vorboten einer neuen Wetterrealität wird, bleibt vorerst offen.
Eines ist jedoch sicher: Diese Nacht werden viele nicht so schnell vergessen.
Von Andreas M. Brucker
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!