In Syrien beginnt ein neues Kapitel. Der Sturz von Bashar al-Assad und die Einnahme von Damaskus durch Rebellen beenden fünf Jahrzehnte autoritärer Herrschaft. Es ist ein Moment, der Millionen Syrer:innen Hoffnung auf einen Neuanfang gibt, nachdem das Land durch Jahrzehnte der Repression und Gewalt gezeichnet wurde. Doch was führte zu diesem historischen Wendepunkt?
Die Anfänge der Assad-Dynastie: Machtübernahme durch Hafez al-Assad
Die Geschichte des Assad-Regimes beginnt 1970 mit einem Putsch von Hafez al-Assad. Als führendes Mitglied der Baath-Partei etabliert er eine autoritäre Herrschaft, die von Überwachung, Angst und Unterdrückung geprägt ist. Selbst kleinste Zeichen von Dissens wurden brutal bestraft – Gefängnis oder Schlimmeres war die Regel.
Ein symbolträchtiges Beispiel seiner Härte war die Niederschlagung eines Aufstands der Muslimbrüder 1982 in Hama. Schätzungen zufolge wurden damals zwischen 10.000 und 40.000 Menschen getötet – die Stadt versank in Trümmern. Die Botschaft war klar: Opposition wird nicht geduldet.
Über drei Jahrzehnte hinweg baute Hafez al-Assad ein System auf, das auf Loyalität zur Familie und absoluten Gehorsam gegenüber dem Staat beruhte. Mit seiner Machtübernahme 1971 durch ein inszeniertes Referendum bis zu seinem Tod im Jahr 2000 blieb er der unangefochtene Herrscher Syriens.
Die Ära Bashar al-Assad: Hoffnung und Ernüchterung
Nach dem Tod von Hafez al-Assad übernahm sein Sohn Bashar – ein überraschender Nachfolger, der ursprünglich eine Karriere als Augenarzt verfolgte. Anfangs schien Bashar für Reformen offen zu sein. Er sprach von Modernisierung und Freiheit, hob einige Repressionen auf und ließ politische Gefangene frei. Viele Syrer:innen glaubten, er könne das Land in eine neue Ära führen.
Doch diese Hoffnungen wurden schnell zerschlagen. Bereits 2001, nach dem sogenannten „Damaszener Frühling“, ließ Bashar Aktivist:innen und Intellektuelle verhaften. Der kurze Moment der Öffnung wurde von einer Rückkehr zur autoritären Politik abgelöst.
Der Arabische Frühling und die Eskalation in Syrien
2011 erreichte der Arabische Frühling Syrien. Friedliche Proteste forderten politische Reformen, Demokratie und ein Ende der Korruption. Doch anstatt die Forderungen der Menschen ernst zu nehmen, ließ Bashar al-Assad seine Sicherheitskräfte das Feuer auf Demonstrant:innen eröffnen. Die Gewalt eskalierte – und der Konflikt entwickelte sich zu einem verheerenden Bürgerkrieg.
Die Bilanz? Über 500.000 Tote, Millionen Vertriebene und ein zerstörtes Land.
Assad zeigte keine Kompromissbereitschaft. Mit chemischen Waffen, Bombardements und der Unterstützung Russlands und Irans hielt er sich an der Macht. Die Opposition, darunter gemäßigte Gruppen und radikale Islamisten, wurde systematisch bekämpft. Es war ein brutaler Machtkampf – und die Bevölkerung zahlte den höchsten Preis.
Der Wendepunkt: Der Fall von Damaskus
Im Dezember 2024 wendete sich das Blatt. Rebellen, angeführt von islamistischen Kämpfern, eroberten Damaskus in einem rasanten Angriff. Die Assad-Regierung verlor entscheidende Unterstützer – Russland und Iran zogen sich zurück, und die geschwächte syrische Armee konnte nicht länger Widerstand leisten.
Die Einnahme von Damaskus war mehr als ein militärischer Sieg. Sie symbolisierte das Ende einer Ära – und die Hoffnung auf einen Neubeginn. Gefängnisse wie Saidnaya, Synonym für Folter und Tod, wurden befreit. Tausende Menschen, die jahrelang in Dunkelheit gehalten wurden, erblickten wieder das Tageslicht.
Was kommt als Nächstes?
Syrien steht an einem Scheideweg. Die Herausforderungen sind immens: Ein zerrissenes Land, zerstörte Infrastruktur, Millionen Vertriebene und die Notwendigkeit, Gerechtigkeit für die Opfer der Diktatur zu schaffen. Doch wie gestaltet man einen Neuanfang, wenn jahrzehntelange Wunden die Gesellschaft spalten?
Die Frage ist – wie viele Chancen hat ein Land, sich aus den Trümmern einer Diktatur zu erheben? Syrien wird Antworten auf diese Frage finden müssen.
Der Sturz von Bashar al-Assad ist nicht das Ende der Geschichte, sondern erst der Anfang eines langen und mühsamen Weges in Richtung Frieden und Demokratie. Doch vielleicht ist dies genau der Moment, den die Menschen gebraucht haben, um den ersten Schritt zu wagen.
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