Tag & Nacht

Paris wurde am Sonntag zum Schauplatz einer besonderen, aber lautstarken Demonstration: Unter dem Ruf „A yen pou yo!“ („Wir lassen uns nicht unterkriegen!“ auf Kreolisch) zogen mehrere tausend Menschen as den französischen Überseegebieten, in kräftigem Rot gekleidet, durch die Straßen der Hauptstadt. Das Ziel? Den steigenden Lebenshaltungskosten in den Überseegebieten von Frankreich entschieden die Stirn bieten und auf die sozialen Missstände in Guadeloupe, Martinique, und Neukaledonien aufmerksam machen.

Eine neue Art von Protest für Frankreich

Dass so viele Menschen für die Überseegebiete auf die Straßen von Paris gehen, ist eine Premiere in dieser Form. Angestoßen durch die derzeitigen Proteste in Martinique gegen die horrenden Preise für Grundnahrungsmittel und Alltagsgüter, fanden sich auf der Pariser Place Denfert-Rochereau diverse Gruppen und Aktivisten zusammen, die aus allen Teilen Frankreichs kamen – vereint durch das gemeinsame Ziel, gegen die wirtschaftliche Belastung und Ungerechtigkeiten anzukämpfen, die die französischen Überseegebiete schon seit Jahren belasten.

Obwohl die Stimmung vorwiegend festlich war, konnten die Organisatoren und Teilnehmer ihren Ärger kaum verbergen. In Sprechchören und auf Plakaten prangerten sie die hohen Preise, die wirtschaftliche Ausbeutung und das geringe Verständnis aus dem Mutterland für ihre Lage an. „Monopole criminel“ („kriminelles Monopol“) und „Rèspektém nou“ („Respektiert uns“) war auf den Schildern zu lesen – eine klare Botschaft an die französische Regierung und die großen Handelsunternehmen.

„Es geht nicht nur um die Preise – es geht um Respekt und Gerechtigkeit“

Louis-Philippe Mars, Vizepräsident der Organisation Ultramarins Doubout, brachte die Motive der Bewegung auf den Punkt: „Wir haben das Gefühl, dass die Situation in den Überseegebieten von den Menschen in Frankreich kaum beachtet wird. Diese Demonstration soll genau das ändern und die Aufmerksamkeit auf uns lenken.“ Für viele Menschen, die oft zwischen Frankreich und den Überseegebieten pendeln, ist die Diskrepanz unübersehbar. Sie fordern die sogenannte „territoriale Kontinuität“ – das heißt, die Preise für grundlegende Güter sollen an das Niveau des Mutterlandes angepasst werden.

Eine besonders eindrückliche Schilderung lieferte Corry Diomar, ein junger Vater von vier Kindern: „Viele wissen gar nicht, dass wir in den Überseegebieten das Doppelte zahlen müssen – oft sogar das Dreifache! Ein Einkauf bei Carrefour kostet dort viel mehr als hier.“ Diomar beschrieb, wie unerschwinglich die Preise für Lebensmittel wie Müsli seien und dass viele Kinder auf den Inseln darauf verzichten müssten – etwas, das hierzulande kaum jemand verstehen würde. Man fragt man sich unweigerlich: Wieso werden die eigenen Landsleute so benachteiligt?

Von Neukaledonien bis Martinique: Stimmen des Widerstands

Auch aus Neukaledonien waren Unterstützer angereist, wie Céleste, eine Sozialarbeiterin, die ebenfalls ein düsteres Bild zeichnete. „Auf dem ‚Caillou‘, wie wir Neukaledonien nennen, ist alles teurer“, sagte sie. „Die Menschen haben Schwierigkeiten, sich vernünftig zu ernähren, medizinische Versorgung zu bekommen oder Bildung für ihre Kinder sicherzustellen.“ Die Leidtragenden sind dabei vor allem die Familien und Kinder, die sich oft das Nötigste nicht leisten können.

Zu den prominenten Stimmen auf dem Protestmarsch gehörte Rodrigue Petitot, eine Schlüsselfigur der Bewegung gegen die hohen Lebenshaltungskosten in Martinique. Erst kürzlich in Paris angekommen, erklärte er, dass es ihm wichtig sei, die Unterstützung der Diaspora in Frankreich zu spüren und zugleich deren Engagement für die Proteste in der Heimat zu stärken.

Aude Goussard, ebenfalls eine Wortführerin der Bewegung, verurteilte insbesondere das Verhalten der großen Handelsketten, die durch ihre Preispolitik zur Ausbeutung beitragen würden. „Die ‚Kolonialmentalität‘ dieser Konzerne muss aufhören“, rief sie ins Mikrofon, gefolgt von lauter Zustimmung der Menge. Die Protestierenden forderten, dass die Unternehmen ihre Geschäftspraktiken ändern und nicht länger von der Notlage der Menschen profitieren.

Ein Streit um wenige Prozente und viele Produkte

Die Forderungen der Protestierenden wurden in den letzten Wochen intensiv verhandelt. Ein vorläufiges Abkommen zwischen der französischen Regierung und einigen Vertretern des Handels und der Industrie sieht eine Senkung der Preise für rund 6.000 Produkte vor. Doch das reicht dem Rassemblement pour la protection des peuples et des ressources afro-caribéens (RPPRAC) bei weitem nicht – sie lehnten das Angebot ab, da es die große Mehrzahl der Konsumgüter unberührt lasse.

Aude Goussard machte die Position der Bewegung in Paris noch einmal deutlich: „Wir bleiben gesprächsbereit. Aber wir möchten endlich konkrete und umfassende Antworten. Der ‚koloniale Pakt‘ hat in unseren Überseegebieten keinen Platz mehr.“ Die Entschlossenheit der Demonstranten war spürbar – ihre Botschaft an das Ministerium für die Überseegebiete unmissverständlich.

Ein Wendepunkt in der französischen Gesellschaft?

Diese Demonstration könnte der Anfang einer intensiveren Auseinandersetzung über die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in den französischen Überseegebieten sein – und einen echten Wendepunkt in der Wahrnehmung der Franzosen markieren. Die Protestierenden hoffen, dass ihre Stimme nicht nur gehört, sondern dass auch gehandelt wird, um die Kluft zwischen der Metropole und den Überseegebieten zu schließen.

Die ultramarinen Gebiete sind Teil Frankreichs, doch für viele scheint es, als ob sie oft nur am Rande des Bewusstseins existieren. Wäre es nicht an der Zeit, dass die gesamte Nation – ob in Paris oder auf Martinique – an einem Strang zieht?


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