Wenn man in Frankreich heute durch viele kleinere Gemeinden fährt, könnte man meinen, das Auto sei zum Feindbild geworden. In vielen Städten und Dörfern greifen Bürgermeister zu ungewöhnlichen Mitteln, um dem Verkehrschaos Herr zu werden – mit knallharten Tempolimits und radikalen baulichen Veränderungen. Warum? Weil die Straßen für viele nicht mehr sicher genug sind. Und weil der Frust über fehlendes Handeln auf höherer Ebene groß ist.
Von Tempo 50 auf Tempo 20 – die neue Realität auf Frankreichs Straßen
Ein Beispiel sorgt besonders für Aufsehen: Laigneville in der Region Oise. Bürgermeister Christophe Dietrich hat dort auf der Hauptstraße eine Höchstgeschwindigkeit von gerade einmal 20 km/h eingeführt. Zwei Schulen liegen direkt an der Straße, Raser waren dort an der Tagesordnung. Die Konsequenz: Warnschilder, blinkende Displays, harte Ansagen. Und siehe da – die Geschwindigkeit sank spürbar.
Auch in Coignières, Yvelines, ist man auf dem gleichen Kurs: vier Straßen im Zentrum sind seit Januar auf 20 km/h begrenzt. Der Verkehr soll sich beruhigen, vor allem in Bereichen, wo sich Autos, Fahrräder und Fußgänger begegnen. Die Devise: Rücksicht statt Raserei.
Und es geht noch weiter. Ponteilla-Nyls in den Pyrénées-Orientales hat die innerstädtische Geschwindigkeit generell auf 40 km/h gesenkt – mit regelmäßigen Kontrollen und saftigen Bußgeldern von 135 Euro.
Wenn die Straße zum Hindernis-Parcours wird
Aber damit nicht genug. Einige Kommunen setzen zusätzlich auf bauliche Maßnahmen, um Temposünder auszubremsen. Da werden Schikanen eingebaut, die Fahrbahn verengt, Bodenschwellen aufgestellt oder sogenannte Begegnungszonen eingerichtet. Ziel: Wer schneller fährt, wird automatisch ausgebremst.
Das Konzept ist simpel – wer nicht freiwillig langsamer fährt, wird dazu gezwungen. Die Straße wird damit zum Bremser. Und das funktioniert. Besonders ältere Menschen, Kinder und Radfahrer profitieren von dieser Entschleunigung.
Die ersten Erfolge: Weniger Lärm, weniger Unfälle, bessere Luft
Tatsächlich zeigen erste Zahlen, dass die Maßnahmen wirken. In Paris wurde auf dem vielbefahrenen Boulevard Périphérique das Tempolimit von 70 auf 50 km/h reduziert – mit beeindruckendem Ergebnis. Der nächtliche Lärm sank um satte drei Dezibel, die Unfallzahlen gingen zurück, die Luft wurde sauberer.
Auch kleinere Orte berichten von weniger Rasern und mehr Gelassenheit im Alltag. Doch nicht alle sind begeistert.
Zoff mit Autofahrern: Ist das noch Verkehrspolitik oder schon Schikane?
Während viele Anwohner die Veränderungen begrüßen, hagelt es Kritik von Autofahrerverbänden und manchen Politikern. Die neuen Regeln seien überzogen, würden den Verkehrsfluss behindern und seien wirtschaftsschädlich, so der Tenor. Besonders die fehlende Einbindung der Bevölkerung sorgt für Unmut. Manche fühlen sich regelrecht überfahren von der neuen Verkehrspolitik – im wahrsten Sinne des Wortes.
Es stellt sich also die Frage: Geht es hier um Sicherheit – oder um Symbolpolitik?
Ein Trend mit Zukunft? Städte machen ernst mit Tempo 30
Trotz aller Widerstände setzen immer mehr Städte auf konsequente Geschwindigkeitsbegrenzungen. Lyon, Grenoble und Nantes haben bereits weite Teile ihres Stadtgebiets zur Tempo-30-Zone erklärt. Und siehe da – das Leben dort ist leiser, sicherer und entspannter geworden.
Diese Entscheidungen sind Teil eines größeren Plans: Der motorisierte Individualverkehr soll zurückgedrängt, der öffentliche Raum neu verteilt werden. Weg vom Auto, hin zu nachhaltiger Mobilität – und das möglichst ohne Unfallopfer.
Ein Dorf zeigt Flagge – und viele folgen
Es ist beachtlich, mit welchem Mut und Durchhaltevermögen einige Bürgermeister hier vorangehen. In Zeiten, in denen oft um Mehrheiten gerungen wird, setzen sie klare Zeichen – für mehr Sicherheit, mehr Lebensqualität, weniger Lärm. Sicher, der Widerstand ist da. Aber auch der Erfolg.
Und wer weiß: Vielleicht werden wir uns in ein paar Jahren wundern, dass man früher mal 50 durch den Ort fahren durfte.
Von Andreas M. Brucker
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