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Die Außenpolitik Donald Trumps erscheint auf den ersten Blick erratisch und sprunghaft. Entscheidungen werden oft ad hoc verkündet, langjährige Bündnisse infrage gestellt, diplomatische Konventionen ignoriert. Doch unter der Oberfläche dieses scheinbaren Chaos erkennt der französische Politikwissenschaftler Frédéric Encel eine stringente Logik: „Le Nord de la boussole de Trump, c’est le mercantilisme“ – die Richtschnur von Trumps geopolitischer Orientierung sei der wirtschaftliche Nutzen für die Vereinigten Staaten. Mit dieser These eröffnet Encel eine Perspektive, die Trumps Handeln im internationalen Raum als konsequente Umsetzung eines neo-merkantilistischen Weltbildes interpretiert.

Die Rückkehr eines ökonomisch dominierten Außenpolitikkonzepts ist dabei kein rein amerikanisches Phänomen, doch unter Trump erreichte es eine neue Radikalität. Die Vereinigten Staaten verstanden sich in der Nachkriegsordnung lange Zeit als Schutzmacht der freien Welt, als Garantiemacht des Multilateralismus. Diese Haltung wich in der Präsidentschaft Trumps einer Haltung, in der die Außenpolitik primär als Geschäft betrachtet wurde – ein Tauschhandel, bei dem militärische, diplomatische oder wirtschaftliche Zugeständnisse stets an eine direkte Gegenleistung geknüpft sind.

Bilateralismus statt Bündnistreue

Trump misstraute von Anfang an multilateralen Institutionen. Die NATO, die UNO, selbst die WTO galten ihm als Mechanismen, durch die die USA wirtschaftlich und sicherheitspolitisch ausgenutzt würden. Seine Außenpolitik zielte daher auf bilaterale Arrangements, in denen Machtasymmetrien direkter ausgenutzt werden konnten. Besonders deutlich wurde dies im Verhältnis zu Ländern wie der Ukraine: In Gesprächen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj bot Trump ein bilaterales Abkommen zur Ausbeutung seltener Erden an – ein Deal, der sich klar an amerikanischen Interessen orientierte, losgelöst von moralischen oder sicherheitspolitischen Erwägungen.

Auch gegenüber europäischen Partnern zeigte sich Trumps nüchterne Haltung. Die Verteidigungsausgaben europäischer NATO-Staaten wurden zur wiederkehrenden Klage. Der Nutzen des Bündnisses wurde von ihm einzig unter dem Gesichtspunkt der Kosten-Nutzen-Rechnung betrachtet. „Die Europäer profitieren, die Amerikaner zahlen“ – so lautete das unausgesprochene, aber konsequent vertretene Credo. Encel fasst dies pointiert zusammen: Für Trump sei der Schutz Europas zu teuer – zumal ohne sichtbaren Gegenwert für die USA.

Wirtschaftliche Logik als außenpolitische Maxime

Diese Position steht in der Tradition des Merkantilismus, einer wirtschaftspolitischen Lehre des 17. und 18. Jahrhunderts, die nationale Stärke in direkter Abhängigkeit vom Handelsbilanzüberschuss sah. In Trumps Denken spiegelt sich diese Logik in der Fokussierung auf Handelsdefizite, die er als Zeichen nationaler Schwäche betrachtete. Ob gegenüber China, Mexiko oder Deutschland – überall dort, wo die USA ein Handelsdefizit aufwiesen, sah Trump unfairen Wettbewerb oder gar bewusste Ausbeutung.

Die Zölle gegen China, die Neuaushandlung des NAFTA-Abkommens zu USMCA, die Drohungen gegen deutsche Autobauer – all dies sind Manifestationen dieser ökonomischen Maxime. Außenpolitik, so Trump, müsse sich rechnen. Militärische Präsenz, diplomatische Unterstützung, Entwicklungszusammenarbeit – alles steht unter dem Vorbehalt eines positiven Saldenausgleichs zugunsten Amerikas.

Diese Haltung erklärt auch Trumps Nähe zu autoritären Regimen wie Russland oder Saudi-Arabien. Anstelle normativer Kriterien zählte allein der bilaterale Nutzen: Waffenverkäufe, Investitionen, Marktöffnungen. Die Menschenrechte oder demokratische Werte werden zur vernachlässigbaren Größe, wenn sie dem Geschäft im Wege stehen.

Konsequenzen für die transatlantischen Beziehungen

Für Europa bedeutet diese Politik eine fundamentale Herausforderung. Die traditionelle transatlantische Partnerschaft basierte auf gemeinsamen Werten, strategischen Interessen und einer multilateralen Ordnung. Trumps Haltung jedoch zwang die europäischen Staaten, ihre sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA zu überdenken. Der Ruf nach „strategischer Autonomie“ wurde unter Trumps Präsidentschaft lauter – insbesondere in Frankreich, aber auch zunehmend in Deutschland.

Gleichzeitig offenbarte sich die strukturelle Schwäche Europas: die Abhängigkeit von amerikanischer Technologie, Sicherheitsgarantien und Wirtschaftsbeziehungen. Trump nutzte diese Hebel offen und ohne diplomatische Zurückhaltung. Die EU wurde nicht als Partner, sondern als wirtschaftlicher Rivale betrachtet. In dieser Perspektive stehen europäische Exportüberschüsse nicht für Wettbewerbsfähigkeit, sondern für Ausbeutung der USA.

Eine neue Form geopolitischer Pragmatik?

Encel argumentiert, dass Trumps Politik nicht als irrational, sondern als Ausdruck einer neuen geopolitischen Rationalität verstanden werden müsse – einer Rationalität, die nationale Stärke nicht aus normativen Prinzipien, sondern aus unmittelbarem wirtschaftlichen Gewinn ableitet. Diese Sichtweise mag für liberale Demokratien verstörend sein, sie findet jedoch weltweit Nachahmer. Der globale Trend zu Autarkie, Protektionismus und geopolitischem Kalkül folgt ähnlichen Mustern.

Gleichzeitig zeigt sich, dass Trumps Politik durchaus Wirkung zeigt. Seine wirtschaftliche Fokussierung zwang andere Staaten zu Zugeständnissen: China akzeptierte neue Handelskonditionen, Mexiko intensivierte Grenzschutzmaßnahmen, Europa diskutiert ernsthaft über höhere Rüstungsausgaben. In dieser Hinsicht war Trumps außenpolitischer Stil nicht ineffektiv – er war nur radikal anders.

Wie nachhaltig diese Strategie ist, bleibt indes offen. Die Abkehr von multilateralen Strukturen schwächt langfristig die globale Ordnung, von der auch die USA profitieren. Zudem bleibt unklar, ob diese Politik von der US-Regierung zukünftig fortgesetzt oder doch korrigiert wird. Derzeit bestätigt sich Trumps Motto: America first, im wörtlichsten Sinne.

Autor: P. Tiko

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