Tag & Nacht


Elf Monate nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus hat Donald Trump in einer nationalen Fernsehansprache die wirtschaftliche Lage der USA in rosigsten Farben beschrieben. Er verspricht einen historischen Aufschwung – und greift zugleich seinen Vorgänger sowie Migranten als vermeintliche Verursacher ökonomischer Probleme frontal an. Derweil wächst in der Bevölkerung die Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Entwicklung.

Die wirtschaftliche Lage als Kampfplatz politischer Narrative

„Ich habe ein Desaster geerbt – und ich repariere es.“ Mit diesen Worten eröffnete Donald Trump seine mit Spannung erwartete Ansprache zur Lage der Nation. In der Rede, knapp ein Jahr nach Beginn seiner zweiten Amtszeit, präsentierte sich der 79-jährige Präsident als Macher, der das Land aus einer wirtschaftlichen Krise führt. In Trumps Darstellung steht die US-Wirtschaft kurz vor einem „Boom wie ihn die Welt noch nie gesehen hat“.

Der Realitätssinn dieser Einschätzung wird jedoch zunehmend hinterfragt. Jüngste Umfragen zeigen, dass eine deutliche Mehrheit der Amerikaner die wirtschaftliche Situation persönlich als negativ empfindet. Zwar sinkt die Inflation laut offiziellen Daten seit Monaten langsam, doch Konsumgüterpreise bleiben für viele Haushalte spürbar hoch. Die steigenden Kosten für Miete, Energie und Gesundheitsversorgung belasten vor allem untere und mittlere Einkommensgruppen.

Um dem wachsenden Unmut zu begegnen, kündigte Trump in seiner Rede die Auszahlung eines einmaligen „Dividende des Kriegers“ an: 1.776 US-Dollar – eine symbolische Summe in Anlehnung an die Unabhängigkeitserklärung – sollen an 1,45 Millionen Militärangehörige gehen. Eine fiskalpolitisch überschaubare Maßnahme, aber ein populärer Schachzug.



Der Blick zurück – und die Schuldzuweisung

Ein zentrales Element von Trumps Botschaft war die scharfe Kritik an Joe Biden. Dessen Regierung habe das Land in einen wirtschaftlichen Niedergang geführt, so Trump. Er spricht von einer Wirtschaft „am Rande des Zusammenbruchs“, die er nun stabilisiere. Diese Darstellung ignoriert allerdings, dass die US-Wirtschaft auch unter Biden nach der Pandemie wieder gewachsen ist – wenn auch begleitet von einer hohen Inflation, die globale Ursachen hatte.

Die Schuldzuweisung ist dabei nicht nur auf den politischen Gegner begrenzt. Einen erheblichen Teil seiner Rede widmete Trump der Migrationspolitik. Er beschuldigte Migranten, die während Bidens Amtszeit ins Land kamen, für eine Reihe wirtschaftlicher Probleme verantwortlich zu sein: Wohnungsknappheit, überlastete Gesundheitssysteme, Arbeitsplatzverlust für Einheimische. Es sind Behauptungen, die sich in der öffentlichen Debatte hartnäckig halten, aber durch ökonomische Daten nur bedingt gestützt werden.

So zeigen Studien, dass Migration zwar lokal zu Druck auf soziale Systeme führen kann, gleichzeitig aber auch ein wichtiger Treiber für wirtschaftliches Wachstum und Innovation ist – insbesondere angesichts des demographischen Wandels in den USA. Trumps Rhetorik hingegen folgt dem Prinzip der Polarisierung: Die Rücknahme von Zuwanderung wird als Voraussetzung für ökonomische Erholung dargestellt.

Widersprüche im eigenen Lager

Auch innerhalb der republikanischen Partei stößt Trumps wirtschaftspolitischer Kurs auf gemischte Reaktionen. Seine anhaltende Kritik am staatlich geförderten Gesundheitssystem (Obamacare) hat jüngst neue Debatten ausgelöst. Die angekündigte Abschaffung der Subventionen könnte für Millionen Amerikaner höhere Kosten bedeuten – ein politisches Risiko, das im Wahljahr 2026 kaum zu unterschätzen ist.

Zudem bleiben viele der von Trump genannten Zahlen und Erfolge fragwürdig. So sprach er von 18 Billionen Dollar an Neuinvestitionen seit seiner Rückkehr ins Amt – eine Summe, die selbst mit großzügigen Interpretationen kaum belegbar erscheint. Ebenso die Ankündigung, Medikamente künftig um „bis zu 600 %“ günstiger zu machen, ist mathematisch nicht nachvollziehbar.

Doch solche Details scheinen im politischen Kalkül zweitrangig. Trumps wirtschaftspolitische Kommunikation setzt auf Emotionalisierung, nicht auf fiskalische Kohärenz. Begriffe wie „Boom“, „Invasion“ und „Grenzsicherung“ dienen als narrative Anker, um ein Bild von Stärke, Ordnung und wirtschaftlichem Wiederaufstieg zu zeichnen.

Zunehmender Vertrauensverlust

Ungeachtet der präsidialen Rhetorik zeigen Umfragen ein klares Bild: Die Mehrheit der Amerikaner bewertet die wirtschaftliche Lage negativ. Der Vertrauensverlust trifft nicht nur den Präsidenten, sondern zunehmend auch zentrale Institutionen – von der Notenbank über den Kongress bis hin zu den Medien. Die ökonomische Unsicherheit wirkt dabei als Katalysator für gesellschaftliche Polarisierung.

In diesem Kontext ist Trumps Ansprache weniger eine wirtschaftspolitische Bilanz als vielmehr ein Appell an die emotionale Selbstvergewisserung seiner Wählerschaft. Der versprochene Boom ist dabei mehr Vision als Realität. Ob er sich in den kommenden Monaten materialisiert, wird entscheidend dafür sein, ob der Präsident die Mitte der Gesellschaft zurückgewinnen kann – oder weiter auf Konfrontation und Loyalitätsmobilisierung setzt.

Autor: P. Tiko

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