Tag & Nacht

Ende letzten Monats veröffentlichte Präsident Donald Trump ein Video in den sozialen Medien, das weltweit für Aufsehen sorgte. Der kurze, mittels Künstlicher Intelligenz erstellte Clip zeigte die Verwandlung des Gazastreifens in eine luxuriöse Küstenregion – eine „Riviera des Nahen Ostens“, wie der Präsident es nannte. In dieser alternativen Realität war der Gazastreifen nicht nur von Trümmern befreit, sondern auch von seinen palästinensischen Einwohnern. An deren Stelle traten glänzende Wolkenkratzer, luxuriöse Einkaufszentren und von Touristen bevölkerte Strände, überragt von Mega-Yachten. Ein strahlender, oberkörperfreier Trump posierte dabei neben einem ebenso zufriedenen und entkleideten israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu.​

Obwohl das Video als „Satire“ bezeichnet wurde, unterstrich es Trumps erklärte Ambition: Er möchte das kriegszerstörte Gebiet übernehmen, das nach dem Angriff der militanten Gruppe Hamas am 7. Oktober 2023 auf Südisrael von der israelischen Armee verwüstet wurde, und die über zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens anderswo ansiedeln. In Anlehnung an die Wünsche einiger rechtsgerichteter israelischer Politiker hat Trump angedeutet, dass diesen vertriebenen Palästinensern möglicherweise die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt bleibt.​

Symbolische Annäherung an Israels Rechte

Diese radikale Vision überschattet die unmittelbaren Interventionen der Trump-Regierung im Nahen Osten. Am Mittwoch empfing US-Finanzminister Scott Bessent den israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich, einen rechtsgerichteten Befürworter von Siedlungserweiterungen und der Annexion palästinensischen Landes, der von der vorherigen US-Regierung gemieden wurde. Ihre Gespräche über eine weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit waren weniger bedeutsam als die Symbolik des Treffens: Eine Figur, die wiederholt gefordert hat, Gaza dem Erdboden gleichzumachen und seine palästinensische Bevölkerung zu vertreiben – und die von der Biden-Regierung wegen ihrer führenden Rolle bei der Anstachelung von Instabilität und Gewalt im Westjordanland mit Sanktionen belegt werden sollte – wurde nun in Washington willkommen geheißen.​

Smotrich lobte Trumps Aufhebung der Biden-Sanktionen gegen rechtsgerichtete israelische Siedlergruppen und begrüßte dessen Aufrufe zur Evakuierung der Palästinenser aus Gaza. „Der Plan des Präsidenten tritt in die praktische Phase ein“, sagte Smotrich der Jerusalem Post. „Sie suchen nach Aufnahmeländern, und der Prozess ist im Gange. Das wird nicht über Nacht geschehen, aber es repräsentiert unkonventionelles Denken.“

Ablehnung durch die arabische Welt

Dieses „unkonventionelle“ Denken ist für Palästinenser und die arabischen Staaten jedoch inakzeptabel. Sie fürchten, dass eine massenhafte Vertreibung aus Gaza einen weiteren historischen Exodus bedeuten würde – eine Fortsetzung der Nakba von 1948, bei der Hunderttausende Palästinenser aus ihren Heimatorten vertrieben wurden. Anfang der Woche legten arabische Staaten bei einem Gipfel in Kairo einen umfassenden Plan für den Wiederaufbau Gazas vor. Dieser sah vor, sichere, temporäre Unterkünfte für die Bevölkerung bereitzustellen und in einem mehrjährigen Prozess den Wiederaufbau der Infrastruktur zu ermöglichen. Zentraler Bestandteil des Plans war die Einrichtung eines Übergangsverwaltungsorgans aus qualifizierten palästinensischen Technokraten, das Gaza regieren sollte. Zudem wurde die Entwaffnung der Hamas als Teil einer größeren politischen Lösung angedeutet, die letztlich zur Schaffung eines funktionsfähigen palästinensischen Staates führen könnte.

Doch dieser Plan wurde sowohl von der Trump-Regierung als auch von Israel abgelehnt. Netanjahu und seine Verbündeten zeigen kein Interesse an einer politischen Selbstbestimmung der Palästinenser. Vielmehr wird eine weitere Eskalation in Erwägung gezogen. Trotz internationaler Forderungen, getroffene Abkommen mit der Hamas einzuhalten, hat Israel die Bereitstellung humanitärer Hilfe für Gaza massiv eingeschränkt. In einer Region, in der die zivile Infrastruktur weitgehend zerstört ist, grundlegende Dienstleistungen nicht mehr existieren und Zehntausende Menschen bei israelischen Bombardements getötet wurden, hat die Regierung Netanjahu klargemacht, dass sie weiterhin mit drastischen Maßnahmen droht. „Die Möglichkeit, Wasser und Strom in Gaza komplett zu kappen, ist nicht ausgeschlossen“, erklärte Regierungssprecher Omer Dostri in dieser Woche.

Trump hält an seiner Vision fest

Die mangelnde Klarheit des arabischen Vorschlags zur Entwaffnung der Hamas wurde von der US-Regierung als Hindernis betrachtet. Doch hinter der Ablehnung des Plans steckt ein tiefergehendes Kalkül. „Der aktuelle Vorschlag geht nicht auf die Realität ein, dass Gaza derzeit unbewohnbar ist und seine Bewohner nicht menschenwürdig in einem Gebiet leben können, das mit Trümmern und nicht explodierter Munition bedeckt ist“, sagte Brian Hughes, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA. „Präsident Trump steht zu seiner Vision, Gaza ohne die Hamas wiederaufzubauen. Wir freuen uns auf weitere Gespräche, um Frieden und Wohlstand in die Region zu bringen.“

Diese Erklärung wirft jedoch die Frage auf, was mit den Millionen Palästinensern geschehen soll, die derzeit in Gaza leben. Während offizielle Statements vage bleiben, spricht Trump in den sozialen Medien eine deutlichere Sprache. Am Donnerstag, während Berichte über geheime Gespräche zwischen US-Vertretern und Hamas-Unterhändlern in Doha auftauchten, schrieb Trump eine deutliche Drohung auf seiner Plattform: „Das ist eure letzte Warnung! Die Führung soll Gaza verlassen, solange sie noch die Chance dazu hat.“ Er richtete sich auch direkt an die Zivilbevölkerung: „Ein schöneres Morgen wartet auf euch, aber nicht, wenn ihr Geiseln haltet. Wenn ihr das tut, seid ihr TOT!“

Humanitäre Bedenken und Eskalationsgefahr

Diese Rhetorik sorgt bei humanitären Organisationen für große Besorgnis. Würde es zu einer vollumfänglichen Wiederaufnahme der Kampfhandlungen kommen, würde dies voraussichtlich erneut zu massiven zivilen Opfern führen. „Es liegt in den Händen der israelischen Behörden, zu definieren, wer zur Hamas gehört“, sagte ein internationaler Helfer. „Das Problem aus unserer Sicht ist, dass sie oft jeden, der in irgendeiner Weise mit Gazas Gesundheitsministerium in Verbindung steht, als Hamas-Mitglied betrachten, einschließlich Ärzten und Krankenschwestern. Wer sich einer Evakuierung widersetzt, wird automatisch als Hamas-Anhänger eingestuft. Je nach Interpretation könnte dies jeden einzelnen Bewohner Gazas betreffen.“

Für rechtsextreme israelische Politiker wie Smotrich ist diese Maximalposition bereits Realität. Während auf diplomatischer Ebene um eine Stabilisierung Gazas gerungen wird, setzt die israelische Armee ihre aggressive Politik auch im Westjordanland fort. Angesichts einer Zunahme palästinensischer Gewalt in bestimmten Regionen haben israelische Truppen in den vergangenen Monaten zahlreiche militärische Operationen durchgeführt, die laut humanitären Organisationen bereits etwa 40.000 Palästinenser zur Flucht gezwungen haben. Kritiker in Israel und international sehen darin jedoch nicht nur eine sicherheitspolitische Reaktion, sondern eine ideologisch motivierte Kampagne der Regierung Netanjahu, die den Einfluss der extremen Rechten zementieren soll.

Letzten Monat sprach Smotrich eine unmissverständliche Warnung an die Palästinenser im Westjordanland aus: „Ihre Städte und Dörfer könnten bald so aussehen wie die zerstörten Viertel von Gaza. Sie werden unbewohnbare Ruinen sein. Ihre Bewohner werden gezwungen sein, zu migrieren und sich ein neues Leben in anderen Ländern zu suchen.“

Von Andreas Brucker

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