Mitten in einem angespannten politischen Klima eskaliert der Streit zwischen der US-Bundesregierung unter Präsident Donald Trump und der kalifornischen Staatsregierung. Auslöser ist der beispiellose Einsatz von rund 4.800 Bundestruppen in Los Angeles – eine Reaktion auf tagelange Proteste gegen verschärfte Einwanderungsmaßnahmen der US-Bundesbehörde ICE. Der Einsatz wirft nicht nur rechtliche, sondern auch politische und gesellschaftliche Fragen auf, die weit über die Grenzen Kaliforniens hinausreichen.
Am 6. Juni 2025 begannen in Los Angeles zunächst lokale Proteste, nachdem bei landesweiten Razzien durch ICE-Agenten dutzende Menschen festgenommen worden waren – darunter viele ohne Vorstrafen oder akute Ausweisungsverfügungen. Die Demonstrationen weiteten sich binnen weniger Tage zu einer massiven Protestwelle aus, die zentrale Verkehrsadern wie den Highway 101 lahmlegte. Tausende Menschen versammelten sich im Zentrum der Metropole, begleitet von Slogans gegen „staatlich geförderten Rassismus“ und „Deportationsgewalt“.
Trotz eines weitgehend friedlichen Verlaufs kam es immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen: Barrikaden, Brandstiftung, Angriffe auf Einsatzkräfte. Dies bot der Bundesregierung offenbar den Anlass, die Nationalgarde sowie 700 Marines ohne Rücksprache mit dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom in Marsch zu setzen. Der Einsatz soll laut Pentagon für die ersten 60 Tage mindestens 134 Millionen US-Dollar kosten – eine Summe, die in erster Linie für Logistik, Unterbringung und Verpflegung der Truppen vorgesehen ist.
Kaliforniens Widerstand gegen Washington
Die Antwort aus Sacramento ließ nicht lange auf sich warten. Gouverneur Newsom sprach von einem „illegalen und unmoralischen Akt“ der Bundesregierung, der die föderale Ordnung der USA untergrabe. Er reichte eine Klage beim Bundesgericht ein, um den Einsatz zu stoppen – mit der Begründung, dass laut Verfassung die Stationierung von Bundesmilitär auf dem Territorium eines Bundesstaates die Zustimmung der jeweiligen Exekutive erfordere, sofern keine unmittelbare nationale Notlage vorliege. Verteidigungsminister Pete Hegseth widersprach dem energisch: Die Truppen dienten allein dem Schutz föderaler Behörden und seien zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung notwendig.
Der Streit verdeutlicht die immer tiefere Kluft zwischen republikanisch geführtem Washington und dem demokratisch dominierten Kalifornien. Während Trump die Maßnahme als konsequente Umsetzung seiner „America First“-Agenda darstellt, wird sie in Kalifornien als Angriff auf die Autonomie des Bundesstaates gewertet. Besonders brisant: Die Entsendung von Marines – also regulären Streitkräften – auf amerikanischem Boden erinnert Kritiker an autoritäre Szenarien, wie sie sonst nur in autoritär geführten Ländern vorkommen.
Die militarisierte Migrationspolitik
Der Kontext dieses Konflikts liegt in der verschärften Gangart der Trump-Regierung gegenüber der Einwanderung. Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte Trump durch das „Zero Tolerance“-Programm und die Errichtung physischer Grenzbarrieren Zeichen gesetzt. Seit seiner Wiederwahl im Jahr 2024 wurden die Befugnisse der ICE-Agenten deutlich ausgeweitet. Interne Dokumente zeigen, dass künftig auch lange im Land lebende Migranten ohne Aufenthaltstitel ins Visier genommen werden – selbst wenn sie in den USA Familie, Arbeit und kein Vorstrafenregister haben.
Diese Politik stößt nicht nur auf Widerstand in den betroffenen Gemeinden, sondern auch bei lokalen Behörden. LAs Bürgermeisterin Karen Bass erklärte in einer Pressekonferenz, die Bundesmaßnahmen würden „die sozialen Spannungen verschärfen, statt sie zu lindern“. Sie verhängte eine nächtliche Ausgangssperre über Teile der Innenstadt, um die Lage zu beruhigen – und warf dem Pentagon vor, ihre Polizeikräfte vorab nicht über die Truppenbewegungen informiert zu haben.
Reaktionen über die Landesgrenzen hinaus
In mehreren US-Städten – von New York bis Atlanta – kam es in Solidarität mit Los Angeles zu Protestmärschen. Internationale Reaktionen folgten prompt: Die mexikanische Regierung forderte konsularischen Zugang zu ihren festgenommenen Staatsbürgern und sprach von einem „Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht“. Auch aus Indonesien kamen diplomatische Protestnoten.
Die mediale Resonanz ist entsprechend polarisiert. Während konservative Medienhäuser wie Fox News die Maßnahme als „überfällige Durchsetzung von Recht und Ordnung“ feiern, sprechen liberale Kommentatoren von einem „autoritären Rollback“. In sozialen Netzwerken zirkulieren Videos, die Zusammenstöße zwischen Soldaten und Demonstranten zeigen – oft ohne erkennbaren Anlass. Die Sichtbarkeit dieser Bilder verstärkt die Sorge, dass die amerikanische Innenpolitik eine neue Eskalationsstufe erreicht hat.
Demokratische Kontrolle und politische Folgen
Die Entscheidung, Truppen ohne Zustimmung des Gouverneurs zu entsenden, wird nun auch im Kongress kritisch beleuchtet. Mehrere Abgeordnete kündigten an, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes überprüfen zu lassen. Verfassungsrechtler warnen vor einem Präzedenzfall: Sollte sich die Bundesregierung mit dieser Strategie durchsetzen, könnte künftig jeder Präsident innere Unruhen zum Anlass nehmen, ohne parlamentarische Kontrolle militärisch zu intervenieren.
Die langfristigen politischen Konsequenzen sind schwer abzuschätzen. Zwar bleibt Trump bei seinen Anhängern populär – laut jüngsten Umfragen unterstützen rund 60 Prozent der republikanischen Wählerschaft den Einsatz in Los Angeles. Doch gleichzeitig wächst die Sorge, dass der Präsident mit seiner Politik bewusst eine Konfrontation mit oppositionellen Bundesstaaten provoziert, um seine Machtbasis auszubauen.
Die kommenden Tage werden zeigen, ob die Klage des Bundesstaates Kalifornien Erfolg hat. Unklar ist auch, wie lange die Truppen tatsächlich in Los Angeles verbleiben sollen. Sollte die Protestwelle weiter anwachsen, steht die Regierung vor einem Dilemma: Entweder sie deeskaliert – oder sie riskiert eine weitere Verschärfung der innenpolitischen Spannungen. In beiden Fällen wird die US-Öffentlichkeit Zeuge eines historischen Tests für das föderale Gleichgewicht.
Autor: P.T.
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