Die Auseinandersetzung um die von Donald Trump verhängten „Liberation Day“-Zölle tritt in ihre entscheidende Phase. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten wird in den kommenden Monaten klären müssen, ob der Präsident das Recht hat, unter Berufung auf eine nationale Notlage weitreichende Importzölle zu verhängen – oder ob hierfür zwingend der Kongress zuständig ist. Das Verfahren dürfte zum Lackmustest für das institutionelle Gleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative werden und zugleich die Leitplanken künftiger Handelspolitik bestimmen.
Ein Zollregime unter dem Banner der „Befreiung“
Am 2. April 2025 verkündete Präsident Trump ein umfassendes Zollprogramm, das er als „Liberation Day“ inszenierte. Die Begründung: Die Vereinigten Staaten stünden in einer wirtschaftlichen Notlage, die aus chronischen Handelsdefiziten, unfairen Praktiken ausländischer Partner und den Folgen des internationalen Drogenhandels resultiere. Auf dieser Grundlage erklärte er den nationalen Notstand und griff auf den International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) zurück – ein Gesetz, das seit seiner Verabschiedung 1977 vor allem zur Verhängung gezielter Sanktionen gegen ausländische Staaten, Unternehmen oder Individuen verwendet worden war.
Trump erhob pauschal einen zehnprozentigen Einfuhrzoll auf die meisten Waren. Gegenüber China, Mexiko und Kanada wurden die Sätze teils deutlich höher angesetzt. Der Präsident präsentierte die Maßnahmen als Schutzschild für die amerikanische Industrie und als Hebel, um ausländische Partner zu faireren Handelsbedingungen zu bewegen. Kritiker warnten indes sofort vor steigenden Preisen für Konsumenten und Lieferkettenrisiken für Unternehmen.
Juristische Gegenwehr
Kaum waren die Zölle in Kraft, erhoben Unternehmen, Handelsverbände und eine Gruppe von zwölf Bundesstaaten Klage. Ihr zentrales Argument: Der IEEPA ermächtige den Präsidenten nicht, flächendeckende Zölle zu verhängen. Vielmehr sei die Kompetenz zur Festsetzung von Abgaben und Zollsätzen historisch fest beim Kongress verankert.
Nach einer Reihe von Verfahren gelangte der Fall vor den Bundesberufungsgerichtshof. Dieser erklärte Ende August 2025 mit einer Mehrheit von sieben zu vier Richtern die Zölle für rechtswidrig. Die Begründung war deutlich: Der IEEPA sehe keine allgemeine Zollkompetenz vor, sondern sei als Instrument für gezielte wirtschaftliche Sanktionen gedacht. Zugleich setzte das Gericht die Wirkung des Urteils bis Mitte Oktober aus, um der Regierung die Berufung zum Supreme Court zu ermöglichen.
Das Ringen vor dem Supreme Court
Die Regierung beantragte umgehend eine beschleunigte Behandlung des Falls. Ihr Ziel ist ein Urteil noch vor Jahresende. Trumps Anwälte argumentieren, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts die Fähigkeit des Präsidenten gefährlich beschneide, in Krisensituationen rasch auf Bedrohungen zu reagieren. Nationale Sicherheit und außenpolitische Handlungsfreiheit stünden auf dem Spiel.
Der politische Druck ist immens. Bislang hat die Zollpolitik der Regierung Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe generiert. Sollte das Oberste Gericht die Maßnahmen kassieren, drohten Rückerstattungen an Importeure in bisher ungekannter Höhe. Finanzminister Scott Bessent warnte bereits vor einer Destabilisierung der öffentlichen Haushalte. Trump selbst sprach davon, dass die Vereinigten Staaten gezwungen sein könnten, bestehende Handelsabkommen „rückabzuwickeln“, falls die Tarife aufgehoben würden.
Wirtschaftliche Dimensionen
Die ökonomischen Folgen des Rechtsstreits sind schwer abzuschätzen. Auf der einen Seite haben die Zölle kurzfristig Mehreinnahmen in die Staatskasse gespült und bestimmten Branchen – etwa Stahl und Aluminium – Schutz verschafft. Auf der anderen Seite leiden zahlreiche Unternehmen unter höheren Importkosten. Verbraucher sehen sich mit steigenden Preisen konfrontiert, insbesondere bei Konsumgütern des täglichen Bedarfs.
Internationale Handelspartner reagieren verunsichert. Mexiko und Kanada, eigentlich enge Verbündete im Rahmen des USMCA-Abkommens, prüfen Gegenmaßnahmen. China wiederum nutzt die Unklarheit, um eigene Handels- und Investitionsabkommen mit Drittstaaten zu forcieren. Sollte der Supreme Court die Zölle bestätigen, könnte dies das internationale Regelwerk weiter erodieren – mit potenziell gravierenden Folgen für die Welthandelsorganisation, deren Autorität bereits seit Jahren unter Druck steht.
Die Verfassungsfrage
Im Kern geht es nicht nur um ökonomische Interessen, sondern um die Auslegung der Gewaltenteilung. Traditionell liegt die Kompetenz über Zölle und Steuern beim Kongress. Präsidenten haben zwar wiederholt Notstandsgesetze genutzt, um wirtschaftliche Restriktionen durchzusetzen, doch bislang handelte es sich fast immer um klar umrissene Sanktionen gegen bestimmte Länder oder Akteure.
Trumps Vorgehen unterscheidet sich qualitativ: Er nutzte den IEEPA für ein umfassendes, globales Zollregime, das den Charakter einer strukturellen Handelspolitik trägt. Befürworter sehen darin eine konsequente Anpassung an die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts, in denen Wirtschaft und Sicherheit untrennbar verwoben sind. Gegner warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall: Künftig könnten US-Präsidenten unter dem Deckmantel des Notstands fiskalische Kompetenzen an sich ziehen, die verfassungsrechtlich dem Kongress vorbehalten sind.
Institutionelle Folgen
Der Supreme Court steht damit vor einer wichtigen Weichenstellung. Ein Urteil zugunsten Trumps würde das Machtgefüge in Washington nachhaltig verschieben. Präsidenten könnten sich künftig leichter auf Notstandsgesetze berufen, um die Handelspolitik unilateral zu gestalten. Das Parlament verlöre einen zentralen Teil seiner fiskalischen Kontrollfunktion.
Ein Urteil gegen Trump hingegen würde die Autorität des Kongresses stärken und den IEEPA auf seine ursprüngliche Funktion zurückführen. Dies könnte allerdings kurzfristig wirtschaftliche Turbulenzen auslösen – nicht zuletzt wegen möglicher Rückerstattungen in dreistelliger Milliardenhöhe. Politisch stünde Trump vor der Herausforderung, seine Handelspolitik völlig neu auszurichten.
Ein Urteil mit Signalwirkung
Die anstehende Entscheidung wird weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus Beachtung finden. Für Europa stellt sich die Frage, ob eine Bestätigung der Tarife die amerikanische Handelspolitik dauerhaft protektionistischer und unberechenbarer machen würde. Eine Ablehnung des Supreme Court hingegen könnte Washington zurück in eine regelgebundene Handelspolitik zwingen – auch wenn der innenpolitische Streit damit nicht beendet wäre.
Am Ende geht es nicht nur um Zölle, sondern um die Grundfrage, wie weit präsidiale Macht in einer Demokratie reichen darf, wenn sie mit dem Argument nationaler Sicherheit legitimiert wird. Der Supreme Court wird in diesem Herbst darüber entscheiden – und damit die politischen Spielräume der amerikanischen Exekutive für die kommenden Jahrzehnte prägen.
Autor: Andreas M. Brucker
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