Tag & Nacht




Die Erde bebte – und das Beben war gewaltig.

Mit einer Stärke von 8,8 auf der Richterskala hat in der Nacht zum Mittwoch ein Seebeben vor der russischen Halbinsel Kamtschatka den gesamten Pazifik in Unruhe versetzt. Binnen Minuten lösten Behörden weltweit Tsunamiwarnungen aus – von Japan über Hawaii bis in die Südsee. Und das Szenario ist alles andere als theoretisch.

In Severo-Kurilsk, einem kleinen Hafenort im russischen Archipel der Kurilen, kamen bereits mehrere Tsunamiwellen an. Der Notstand wurde ausgerufen, Straßen und Hafenanlagen überflutet. Die Bilder, die über russische Medien zirkulieren, wirken wie aus einem Katastrophenfilm. Ein Bewohner spricht in einem Video von der „vierten Welle“, die alles mit sich reiße – „der Hafen ist weg, die Küste versinkt“.

Eine Tsunami-Welle kommt selten allein.

Das Zentrum des Bebens lag rund 126 Kilometer von Petropawlowsk-Kamtschatski entfernt – dem Verwaltungssitz der abgelegenen russischen Region im Fernen Osten. In 18 Kilometern Tiefe entlud sich dort eine Energie, wie sie die Region zuletzt 1952 gesehen hatte. Damals führte ein ähnlich starkes Beben zu einer Pazifik-weiten Katastrophe.

Und diesmal?

Die Auswirkungen reichen bereits jetzt weit über die russischen Grenzen hinaus. Der Pazifik steht unter Beobachtung. Die USA, China, Japan, Peru, Ecuador – sie alle haben Warnsysteme aktiviert, Küsten evakuiert, Menschen aufgerufen, sich in höhere Lagen zu begeben. Besonders drastisch waren die Reaktionen in Japan.

Dort wurde zunächst von Wellenhöhen bis zu einem Meter ausgegangen. Doch die Wetterbehörde JMA musste ihre Prognose schnell korrigieren – auf bis zu drei Meter. Die Erinnerung an 2011, als ein Tsunami nach einem Seebeben das Atomkraftwerk Fukushima zerstörte, sitzt tief. Kein Wunder also, dass NHK, der japanische Staatssender, eindringlich zur sofortigen Evakuierung aufrief.

Die Betreiber des Kraftwerks Fukushima evakuierten umgehend das Personal.

Auch das US-amerikanische Tsunami-Warnzentrum (PTWC) schlug Alarm – nicht nur für Russland und Japan. Die Warnung betrifft große Teile des Pazifiks, darunter auch Hawaii, wo mit Wellen über drei Metern gerechnet wird. Besonders brisant: Die Südsee ist ebenso betroffen.

In der französischen Übersee-Region Polynesien wurden die Behörden über eine mögliche Tsunami-Gefahr informiert. Betroffen sind insbesondere die Marquesas-Inseln. Dort wird eine Wellenhöhe von bis zu 2,60 Meter erwartet – durchaus genug, um Küstensiedlungen zu gefährden. Der Hochkommissar der Republik rief zur Vorsicht auf.

Auch in Neukaledonien sowie auf den Inseln Wallis und Futuna könnte es zu Wellen bis zu einem Meter kommen.

Die Natur zeigt sich einmal mehr von ihrer unberechenbaren Seite. Während in den meisten Teilen der Erde der Alltag weiterläuft, kämpfen Küstengemeinden entlang des Pazifiks mit der bangen Frage: Kommt die große Welle?

Der Ozean atmet – und mit ihm wächst die Sorge.

Die Behörden arbeiten rund um die Uhr, internationale Kommunikation läuft auf Hochtouren. Satellitenbilder, Tiefensensoren, Echtzeitdaten aus Seismografen – alles wird ausgewertet, um die nächsten Stunden vorherzusagen.

Aber lässt sich eine Tsunami-Welle wirklich exakt vorhersagen?

Nicht ganz. Die Ozeane sind träge Giganten. Eine Erschütterung wie die vor Kamtschatka setzt gewaltige Energien frei – wohin sich diese genau entladen, hängt von unzähligen Faktoren ab: Tiefe, Untergrund, Verlauf der tektonischen Platten, geografische Form der Küstenlinie.

Und so bleibt die Hoffnung, dass die Wellen an vielen Orten kleiner ausfallen als befürchtet.

Doch die Vorsichtsmaßnahmen sind richtig – auch wenn sie in manchem Moment übertrieben wirken mögen. Wer je gesehen hat, wie eine Tsunamiwelle an Land trifft, wie sie ganze Häuser mitreißt, Autos wie Spielzeuge davonschwemmt und Landstriche binnen Minuten verwüstet, der weiß: Lieber einmal zu viel gewarnt als einmal zu wenig.

Der Mittwoch wird zeigen, ob die Lage sich entspannt.

Für viele Menschen entlang des Pazifiks beginnt diese Nacht nicht mit Schlaf – sondern mit einem bangen Blick Richtung Meer.

Von C. Hatty

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