Tag & Nacht


Eine heruntergekommene U-Bahn-Station mit flackernden Neonröhren, Pfützen von Abwasser und einem Verkäufer gefälschter Handtaschen: Was wie ein Albtraum aus dem urbanen Amerika wirkt, ist in Wahrheit Teil eines Moskauer Sommerfestivals – finanziert und orchestriert vom russischen Staat. Die Szenerie zeigt einen Spaziergang durch ein künstliches hässliches New York, an dessen Ende sich der Besucher in einer makellosen Moskauer Metrostation wiederfindet – ganz in Marmor, blitzblank und menschenleer.

Diese surreale Installation ist mehr als Unterhaltung. Sie ist Teil einer umfassenden Propagandaoffensive, die Russland nicht nur als stabilen Gegenpol zum „verfallenden Westen“ inszenieren will, sondern auch als kulturelle Alternative – insbesondere für Länder außerhalb des westlichen Lagers.


Inszenierte Normalität im Schatten des Krieges

Während Russland in der Ukraine einen blutigen Stellungskrieg führt, inszeniert man an der Heimatfront ein Bild des Friedens, der Ordnung und des Fortschritts. Festivals, Lichtshows, renovierte Metrostationen – sie alle dienen einem doppelten Zweck: Ablenkung nach innen, Imagepflege nach außen. Der Krieg kommt im Alltag kaum vor. Stattdessen erlebt Moskau einen Kulturboom, der gezielt den Eindruck erweckt, dass das Leben trotz Sanktionen, internationaler Isolation und militärischer Verluste weitergehe – vielleicht sogar besser denn je.

Gleichzeitig sind solche Veranstaltungen ideologisch aufgeladen. Sie vermitteln das Bild einer dekadenten, unkontrollierten westlichen Welt – schmutzig, gefährlich, absurd – und kontrastieren es mit einer autoritär geordneten russischen Gesellschaft. Die Botschaft: Russland mag anders sein, aber es ist stabil. Und das zählt in einer Welt der Krisen.


Weltpolitische Schaufensterpolitik

Die Propaganda im Inneren ist nur eine Seite dieser Strategie. Ebenso wichtig ist die Außenwirkung – vor allem auf jene Länder, die sich weder klar dem Westen noch Russland zuordnen. Besucher aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten werden in Moskau gezielt angesprochen. Ihnen präsentiert sich Russland als funktionierender, souveräner Staat – im Gegensatz zu liberalen Demokratien, die sich in politischen Dauerkonflikten, gesellschaftlicher Polarisierung und wirtschaftlicher Unsicherheit verfangen.

In dieser Perspektive erscheint Russland nicht länger als Außenseiter, sondern als Alternative. Der Anspruch ist nicht, die westliche Ordnung zu kopieren, sondern sie zu überwinden – kulturell, wirtschaftlich, geopolitisch. Die Festivals sind somit keine reinen Freizeitveranstaltungen, sondern Ausdruck eines globalen Narrativkampfes.


Die Schwäche des Westens als strategischer Hebel

Der Erfolg dieser Strategie beruht auch auf einer realen Schwäche westlicher Demokratien. Haushaltskrisen, populistische Bewegungen, zersplitterte Parlamente – all das untergräbt die frühere Strahlkraft westlicher Institutionen. Wer von außen auf Washington, Paris oder Berlin blickt, sieht oft keine Vorbilder mehr, sondern fragilen Stillstand.

Diese Wahrnehmung nutzt der Kreml geschickt aus. Statt mit Panzern und Raketen allein wird der Ukrainekrieg auch mit Bildern, Symbolen und kultureller Selbstvergewisserung geführt. Die Behauptung lautet: Der Westen ist nicht nur militärisch gescheitert, sondern auch zivilisatorisch überholt. Russland hingegen sei widerstandsfähig – eine Bastion der Ordnung in einer aus den Fugen geratenen Welt.


Vom Bild zur Wirklichkeit

Doch wie lange lässt sich eine solche Parallelrealität aufrechterhalten? In Russland selbst zeigen sich bisher nur geringe Anzeichen von Protest oder Kriegsmüdigkeit. Die propagierte Normalität verfängt, weil sie auf ein Bedürfnis trifft: jenes nach Stabilität in unsicheren Zeiten. So wird das Festival zur Projektionsfläche – für eine Nation im Krieg, die sich selbst in der Pose des Friedens spiegelt.

Nach außen erzeugt es einen Kontrast, der zunehmend Wirkung zeigt. In großen Teilen der Welt wird Russland nicht mehr als Aggressor wahrgenommen, sondern als selbstbewusste Macht, die dem Westen die Stirn bietet – auch wenn der Preis dafür ein Krieg ist, dessen Ende nicht abzusehen ist.


Weitere World-News

China: Das Land wird heute Japans Niederlage im Zweiten Weltkrieg mit einer Parade aus Raketen, Soldaten und führenden Politikern begehen – darunter Kim Jong-un aus Nordkorea und Wladimir Putin aus Russland.

USA: Ein Richter hat entschieden, dass der Einsatz von Militärtruppen durch die Trump-Regierung in Los Angeles rechtswidrig war. Das Justizministerium wird voraussichtlich Berufung einlegen.

Katastrophen: Die Zahl der Todesopfer nach einem Erdbeben in Afghanistan ist auf mindestens 1.400 gestiegen. Im Sudan kamen Hunderte Menschen ums Leben, als ein Erdrutsch ihr Dorf in Darfur verschüttete.

Belgien: Das Land wird bei der diesjährigen UN-Generalversammlung einen palästinensischen Staat anerkennen – allerdings nur, wenn Hamas bestimmte Bedingungen erfüllt.

Israel: In der israelischen Führung ist ein Riss entstanden, ausgelöst durch Benjamin Netanyahus Beharren auf einem umfassenden Abkommen zur Beendigung des Kriegs im Gazastreifen.

Ukraine: Kiew verfolgt einen milliardenschweren, von Europa finanzierten Rüstungsaufbau – um seine Armee langfristig aufrechtzuerhalten.

Brasilien: Ex-Präsident Jair Bolsonaro blieb dem ersten Tag seines Prozesses wegen mutmaßlicher Umsturzpläne fern. Die New York Times wertete Dokumente aus, die Hinweise darauf enthalten, wie Bolsonaro den Staatsstreich geplant haben soll.

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