Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Modebranche an ihre eigenen Grenzen stößt. Die Ultra-Fast-Fashion – noch schneller, noch billiger, noch kurzlebiger als die ohnehin schon umstrittene Fast-Fashion – hat in wenigen Jahren den Markt überrollt. Doch jetzt formiert sich der Widerstand. Nicht nur in Frankreich, sondern weltweit.
10.000 neue Kleidungsstücke – pro Tag. Das ist keine Übertreibung, sondern die Realität bei Plattformen wie Shein oder Temu. Während traditionelle Modemarken mit wenigen Kollektionen pro Saison arbeiten, speisen Ultra-Fast-Fashion-Anbieter täglich eine Flut an neuen Artikeln ins Netz – algorithmisch getrieben, massenhaft produziert, zum Schleuderpreis verkauft.
Ein System, das auf Geschwindigkeit, Volumen und Wegwerfmentalität beruht – mit fatalen Folgen.
Billig, schnell, kaputt
Oxfam France hat es auf den Punkt gebracht: Ultra-Fast-Fashion ist nicht einfach eine beschleunigte Mode – sie ist ein eigenes Geschäftsmodell, das auf permanente Erneuerung, künstlich erzeugte Trends und gezielte Impulskäufe setzt. Die Qualität? Laut Tests ist bei fünf von sechs Kleidungsstücken nach zehn Wäschen Schluss.
Die Umweltauswirkungen sind massiv: synthetische Materialien, die nicht recycelbar sind, tonnenweise CO₂ durch lange Transportwege, Mikroplastik in den Meeren. Und das ist nur die ökologische Seite.
Wer zahlt den Preis?
Die eigentlichen Kosten trägt nicht der Konsument, sondern die Arbeiterinnen in den Textilfabriken. In vielen Fällen ohne Vertrag, mit Hungerlöhnen und Arbeitszeiten jenseits der 70-Stunden-Woche. Der Druck, in kürzester Zeit riesige Mengen zu produzieren, geht auf ihre Gesundheit – und ihre Rechte.
Gleichzeitig geraten klassische Modehäuser unter Druck. Französische Hersteller sprechen offen von „unlauterem Wettbewerb“. Auch die Secondhand-Branche leidet: Die Spenden nehmen ab, die Qualität der abgegebenen Kleidung sinkt.
Frankreich setzt ein Zeichen
Doch jetzt kommt Bewegung in die Sache. Frankreich geht voran – mit einem Gesetz, das dem Wildwuchs der Ultra-Fast-Fashion Einhalt gebieten soll. Der Senat hat im Juni 2025 einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der drastische Sanktionen für nicht-konforme Ware vorsieht: bis zu 10 Euro pro Kleidungsstück, bei besonders problematischen Produkten sogar 50 Prozent des Verkaufspreises.
Ein deutliches Signal – nicht nur an Shein & Co., sondern auch an die Konsumenten.
Der Widerstand wächst
Neben der Politik engagieren sich auch zahlreiche Organisationen. Zero Waste France etwa organisiert Protestaktionen zur Eröffnung neuer Filialen, verteilt Informationsmaterial und wirbt für bewussten Konsum. Ihr Credo: weniger kaufen, länger tragen, mehr reparieren.
Statt Wegwerfmode propagieren sie die Idee der „Slow Fashion“ – also Mode, die mit Bedacht und Qualität statt mit Trends und Tempo punktet.
Die Hürden auf dem Weg zur Veränderung
So klar die Forderungen, so komplex die Realität. Denn zwei zentrale Probleme bleiben:
Erstens: soziale Gerechtigkeit. Für viele Menschen mit kleinem Einkommen ist günstige Kleidung nicht Ausdruck von Konsumlust, sondern schlicht notwendig. Sie zu stigmatisieren, wäre unfair – es braucht also Lösungen, die nachhaltig UND sozial verträglich sind.
Zweitens: Globalisierung. Solange Plattformen aus dem Ausland über Onlinehandel operieren und billig produzieren lassen, greifen nationale Regelungen nur begrenzt. Es braucht eine internationale Antwort – abgestimmt, durchsetzbar und langfristig.
Was tun?
Was also tun als Konsumentin, als Bürger, als Gesellschaft?
Zunächst: Nicht den perfekten Konsumstil suchen – sondern den besseren. Nicht radikal alles ändern, sondern Schritt für Schritt bewusster entscheiden. Wer Kleidung länger trägt, kauft automatisch weniger. Wer Secondhand kauft oder lokal produziert, unterstützt Alternativen. Und wer sich informiert, bleibt nicht Opfer des Systems, sondern wird Teil der Lösung.
Denn im Kern geht es hier nicht nur um Mode. Es geht um unser Verhältnis zu Dingen – und zu den Menschen, die sie herstellen. Die Ultra-Fast-Fashion zeigt, wie sehr unser Konsumverhalten außer Kontrolle geraten ist. Aber sie zeigt auch, wie groß das Potenzial für Veränderung ist.
Eine Frage bleibt am Ende offen: Sind wir bereit, das Tempo rauszunehmen?
Autor: Andreas M. Brucker
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