Die Vereinten Nationen haben Israel und Russland in ihrem jüngsten Bericht über sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten unter verschärfte Beobachtung gestellt. Beide Staaten stehen damit kurz davor, in eine Liste aufgenommen zu werden, die weltweit jene Regierungen und bewaffneten Gruppen aufführt, denen der systematische Einsatz sexueller Gewalt als Kriegsinstrument zur Last gelegt wird. Die Warnung markiert einen sensiblen diplomatischen Moment – sie ist weder Anklage noch Freispruch, sondern Ausdruck wachsender internationaler Besorgnis.
Die Liste, die jährlich vom UN-Generalsekretariat veröffentlicht wird, umfasst aktuell 63 Staaten oder Organisationen, darunter zahlreiche Rebellengruppen und Milizen. Neu hinzugekommen ist in diesem Jahr der militärische Arm der Hamas, deren Kämpfer im Zuge des Überfalls auf Israel am 7. Oktober 2023 unter anderem wegen sexueller Gewalt gegen Geiseln angeklagt werden. In Bezug auf Israel und Russland jedoch bleibt es bislang bei einer Vorwarnung – ein Novum im Umgang mit zwei international stark beachteten Akteuren.
Dokumentierte Gewalt in Gefangenschaft
Dem Bericht zufolge liegen der UNO glaubhafte Hinweise auf sexuelle Misshandlungen in Gewahrsamssituationen vor – sowohl durch russische Kräfte an ukrainischen Kriegsgefangenen als auch durch israelische Sicherheitskräfte an palästinensischen Inhaftierten. In beiden Fällen ist von wiederholten Fällen sexueller Erniedrigung, Genitalgewalt und erzwungener Nacktheit die Rede. Die dokumentierten Vorfälle betreffen insbesondere Gefängnisse, Militärbasen und Untersuchungshaftzentren.
Dabei macht die UNO deutlich, dass es sich bei sexueller Gewalt nicht um ein Nebenprodukt bewaffneter Konflikte handelt, sondern um eine gezielt eingesetzte Methode der Einschüchterung, Demütigung oder Informationsbeschaffung. Das lässt sich auch an der Sprache des Berichts ablesen, der von sexueller Gewalt als Mittel der Folter, Repression und Terrorisierung spricht.
Israelische und russische Reaktionen
Die Reaktionen aus Tel Aviv und Moskau fielen unterschiedlich aus, aber beide Regierungen wiesen die Vorwürfe zurück. Israel betonte, seine Sicherheitskräfte handelten im Einklang mit dem Völkerrecht, und warf der UNO vor, sich einseitig auf fragwürdige Quellen zu stützen, statt die dokumentierten Kriegsverbrechen der Hamas ins Zentrum zu rücken. Russland äußerte sich nicht öffentlich, verweigerte allerdings nach Angaben der UN jede Kooperation mit dem zuständigen Sonderbeauftragten.
Die russische Haltung dürfte als Teil einer breiteren Strategie verstanden werden, internationale Institutionen zu delegitimieren – ein Muster, das sich bei Russland bereits in anderen Gremien wie dem Internationalen Strafgerichtshof beobachten lässt.
Der politische Mechanismus hinter der Liste
Die Liste selbst ist Teil eines umfassenderen Mechanismus, der in den UN-Resolutionen 1820 und 1888 verankert ist. Diese sehen neben der Ächtung sexueller Kriegsverbrechen auch konkrete Maßnahmen zur Prävention und Ahndung vor. Staaten und Organisationen, die auf der Liste stehen, sind aufgefordert, glaubhafte Schutzmechanismen zu schaffen, Untersuchungen einzuleiten und ihre Sicherheitskräfte entsprechend zu schulen. Wer dem nicht nachkommt, riskiert diplomatische Isolierung und mögliche Sanktionen.
Allerdings ist der Mechanismus nicht bindend – die Aufnahme auf die Liste hat vor allem symbolischen und reputationspolitischen Charakter. Für Demokratien wie Israel, die international auf Legitimität und Allianzen angewiesen sind, kann schon die Androhung eines Eintrags erheblichen Druck erzeugen. Für autoritäre Systeme wie Russland hingegen ist der Effekt geringer, doch auch dort dürfte die öffentliche Sichtbarkeit solcher Berichte innenpolitische Reibung erzeugen.
Ein sich verschärfendes globales Problem
Der UN-Bericht verweist zudem auf eine besorgniserregende Entwicklung: Weltweit nahm der dokumentierte Einsatz sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten im vergangenen Jahr um ein Viertel zu. 92 Prozent der Betroffenen waren Frauen oder Mädchen. In zahlreichen Kontexten – von Myanmar über die Demokratische Republik Kongo bis Sudan – bleibt sexuelle Gewalt ein systematisch eingesetztes Machtinstrument, oft ohne Konsequenzen für die Täter.
Diese Zahlen unterstreichen, dass das Thema weit über einzelne Konflikte hinausreicht. Die Debatte um Israel und Russland zeigt dabei exemplarisch, wie schwierig der Umgang mit Vorwürfen ist, wenn geopolitisch mächtige Staaten betroffen sind. Doch gerade deshalb kommt dem Mechanismus der UN eine besondere Rolle zu: Er dient nicht der Schuldzuweisung, sondern dem Aufbau internationaler Normen.
Die nächste Ausgabe des Berichts ist für Sommer 2026 angekündigt. Bis dahin haben Israel und Russland Gelegenheit, interne Ermittlungen zu dokumentieren, Präventionsmaßnahmen zu verstärken und gegenüber den UN Transparenz herzustellen. Ob sie diese Chance nutzen, bleibt offen. Klar ist nur: Das öffentliche Anprangern durch die UNO setzt ein Zeichen – und es stellt die Frage, wie ernst es der internationalen Gemeinschaft mit dem Schutz vor sexueller Gewalt wirklich ist.
Autor: Andreas M. Brucker
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