Es klingt fast archaisch – und doch passt es perfekt in unsere Zeit.
Während die Sonne erbarmungslos auf Frankreich niederbrennt, suchen immer mehr Menschen Schutz vor der Hitze an Orten, die einst nur Abenteurern, Forschern oder Historikern vorbehalten waren: in den kühlen Grotten des Landes.
Bei Außentemperaturen jenseits der 35-Grad-Marke werden diese natürlichen Höhlen plötzlich zu rettenden Inseln in der Hitze des Sommers.
Ein natürliches Kühlsystem
Grotten gelten seit jeher als mystische Rückzugsorte. Heute aber sind sie weit mehr: Sie sind echte Klimaschutzräume.
Ihre Temperaturen bleiben konstant zwischen 10 und 15 Grad Celsius – ganz gleich, wie sehr die Welt draußen kocht. Für Touristen und Einheimische bedeutet das eine willkommene Erfrischung, kombiniert mit der Faszination geologischer und historischer Geheimnisse.
Wer möchte nicht einmal auf den Spuren von Höhlenmenschen wandeln, wenn es gleichzeitig die beste Abkühlung weit und breit gibt?
Rekordzahlen unter Tage
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.
Die Grotte de Choranche im Departement Isère beispielsweise meldet an heißen Tagen bis zu 1.400 Besucher – ein Anstieg von fast 50 Prozent im Vergleich zu normalen Sommertagen. Auch in der Grotte de Saint-Marcel in Ardèche drängen sich die Menschen. Seit Beginn der aktuellen Hitzewelle stieg die Besucherzahl dort um mindestens zehn Prozent.
Es scheint, als hätten viele Franzosen und Urlauber das Geheimnis der alten Höhlenbewohner wiederentdeckt: Unter der Erde lebt es sich manchmal angenehmer.
Tourismus im Wandel
Diese neue Grottenbegeisterung steht sinnbildlich für eine breitere Bewegung im Tourismus.
Mit steigenden Temperaturen passen Reisende ihre Pläne an. Regionen wie die Bretagne, die Normandie oder die Pays de la Loire – traditionell eher kühlere Gegenden – verzeichnen deutliche Besucherzuwächse. Gleichzeitig verlieren heiße Klassiker wie die Provence-Alpes-Côte d’Azur an Anziehungskraft.
Man könnte sagen: Frankreichs Urlauber jagen nicht mehr nur der Sonne hinterher. Sie flüchten inzwischen auch vor ihr.
Zwischen wirtschaftlichem Gewinn und ökologischen Risiken
Doch dieser Boom hat zwei Gesichter.
Für die lokale Wirtschaft sind die Grotten ein Segen. Cafés, Souvenirshops, Führungen – all das floriert, wenn draußen kaum noch jemand freiwillig durch Städte und Dörfer spaziert.
Gleichzeitig sind die Höhlen empfindliche Ökosysteme. Ihre Temperaturstabilität, ihre Feuchtigkeit, ihre uralten Formationen – all das kann durch zu viele Besucher gefährdet werden.
Wie viele Füße verträgt eine solche Grotte, bevor sie Schaden nimmt? Wie viel CO₂-Atemluft kann ein schmaler Gang aufnehmen, ohne sein Mikroklima zu verändern?
Es braucht daher kluge Lösungen.
Begrenzte Besucherzahlen, nachhaltige Beleuchtung, klare Führungswege und Bewusstseinsbildung – all das entscheidet darüber, ob die Grotten auch in 50 Jahren noch als erfrischende Fluchtorte und Naturwunder existieren werden.
Die Frage ist also nicht nur, wo wir uns künftig vor der Hitze retten. Sondern auch: Wie retten wir gleichzeitig diese Orte, die uns Schutz bieten?
Ein Blick ins Morgen
Fest steht: Frankreichs Grotten sind mehr als Ausflugsziele.
Sie sind stille Zeugen einer Zeit, in der die Menschen ohne Klimaanlage überlebten. Und sie könnten in einer heißeren Zukunft wieder genau das werden – Zufluchtsstätten, die uns lehren, mit der Natur zu leben, statt sie zu bekämpfen.
Sicherlich brauchen wir in diesen Höhlen nicht nur Abkühlung, sondern auch Demut.
Autor: Andreas M. Brucker
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