Ein Samstag wie aus dem Albtraumhandbuch des Wetters: Am 12. Juli 2025 verwandelte sich die Urlaubsidylle im Südwesten Frankreichs in eine Bühne dramatischer Naturgewalten. Binnen weniger Stunden brach über die Départements Aude und Pyrénées-Orientales ein Unwetter herein, das selbst für erfahrene Meteorologen überraschend kam – und das die drängende Frage aufwirft: Wie lange können Regionen wie diese dem Klimawandel noch standhalten?
Himmel in Aufruhr
Am frühen Nachmittag begann es – erst ein Grollen, dann ein Donnergrollen, das nicht mehr aufhören wollte. Über Ille-sur-Têt prasselten 88 Millimeter (Liter pro m2) Regen, mehr als das Dreifache dessen, was im gesamten Juli normalerweise fällt. Im nur wenige Kilometer entfernten Perthus waren es sogar 93 Millimeter. Die Straßen? Verwandelten sich in reißende Ströme.
Ribouisse im Aude erwischte es ebenfalls: 42 Millimeter Niederschlag in kürzester Zeit – genug, um das Kanalsystem kollabieren zu lassen. In Saint-Cyprien und Estagel wateten Menschen knietief durch das Wasser, manche Häuser standen bis zum Erdgeschoss unter Wasser. Blitze zuckten – und das nicht zu knapp: Über 5.500 Einschläge registrierte das Unwetterbeobachtungsnetz Keraunos in nur einer Stunde. Ein apokalyptisches Szenario.
Regen, der alles mitriss
Météo-France hatte früh gewarnt. Die Region war auf „Vigilance Orange“ gesetzt worden, eine Alarmstufe, die für Starkregen und Gewitter gilt. Ursache war eine sogenannte „goutte froide“ – eine kalte Luftmasse in der Höhe, die wie ein Magnet Gewitterzellen anzieht und sie förmlich über der Region festklebt. So entstehen punktuelle, aber umso heftigere Unwetter.
Und tatsächlich: Die Folgen waren heftig. In Ille-sur-Têt mussten 21 Menschen ein Wohnhaus verlassen, nachdem Decken eingestürzt waren. Auf der A9 Richtung Spanien herrschte Stillstand – eine Autobahnauffahrt beim Boulou wurde gesperrt. Die Feuerwehr? Hatte kaum Zeit zum Durchatmen. Über 50 Einsätze allein in den Pyrénées-Orientales – meistens zum Abpumpen und Absichern. Und das alles – man muss es betonen – zum Glück ohne Tote.
Ein gefährdetes Paradies
Wer an Südfrankreich denkt, sieht Weinreben, Lavendelfelder und Sommerflair. Doch unter der Oberfläche verbirgt sich eine empfindliche Struktur. Besonders das Département Aude ist hochgradig gefährdet: 41 Prozent aller Gebäude und über die Hälfte aller Arbeitsplätze liegen in Hochwasserrisikozonen. Ein Spiel mit dem Feuer – oder besser gesagt: mit dem Wasser.
Zwar sind Unwetter im Herbst, sogenannte „épisodes cévenols“, bekannt – doch dass ein Juli derart ausartet, zeigt eine neue Dimension der Bedrohung. Erinnerungen an das Katastrophenjahr 2018 werden wach, als ebenfalls im Aude 15 Menschen ums Leben kamen. Damals hieß es: „So etwas darf nie wieder passieren.“ Jetzt fragt man sich: War das Versprechen nur Schall und Regen?
Zeit für Plan B – oder besser: Plan Klimaresilienz
Angesichts der wachsenden Bedrohung durch Extremwetter braucht es mehr als Sandsäcke und Sirenen. Es braucht ein Umdenken. Städte müssen anders geplant, Versiegelung reduziert und natürliche Überschwemmungsflächen geschützt werden. Und ja – auch die Menschen selbst müssen vorbereitet sein: durch Schulungen, Informationskampagnen, Bewusstseinsarbeit.
Die gute Nachricht: Frankreich hat in den letzten Jahren viel in Frühwarnsysteme investiert. Der Umstand, dass trotz sintflutartiger Regenfälle niemand ums Leben kam, ist auch ein Verdienst funktionierender Warnketten. Aber das reicht nicht. Die Infrastruktur muss angepasst, die Bauweise überdacht, der Umgang mit Naturgewalten modernisiert werden.
Ein Donnern, das wachrüttelt
Was bleibt, ist ein Bild von Straßen, die sich in Bäche verwandeln, von Urlaubern, die ihre Flipflops gegen Gummistiefel tauschen mussten – und von einer Natur, die eindrucksvoll zeigt, wie klein der Mensch angesichts ihrer Kräfte ist.
Und da steht sie, die alles entscheidende Frage: Wenn der Juli schon so beginnt – was erwartet uns dann erst im Herbst?
Autor: Andreas M. Brucker
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