Der Sommer – für viele die schönste Zeit des Jahres. Endlich raus, Sonne tanken, Abstand vom Alltag. Aber während sich die einen auf die Ferien freuen, beginnt für andere eine Zeit der Angst, der Verlassenheit, der Kälte – mitten im Juli.
Die Leidtragenden sind nicht auf den ersten Blick sichtbar. Sie sitzen in Käfigen, warten auf Parkplätzen oder irren über Autobahnraststätten: ausgesetzte Haustiere, oft „geliebte“ Familienmitglieder, die plötzlich lästig werden, wenn der Urlaub ruft.
Ein Drama, das sich jedes Jahr aufs Neue abspielt – und Frankreich wie Deutschland gleichermaßen betrifft.
Frankreich hat dabei traurige Berühmtheit erlangt: Über 60.000 Tiere werden dort jedes Jahr während der Ferienzeit ausgesetzt. Hunde, Katzen, Kaninchen – achtlos zurückgelassen wie Sperrmüll. Als hätte ein Tier kein Recht auf ein verlässliches Zuhause. Und als sei die Beziehung zu einem Lebewesen einfach kündbar.
Die Gründe? So banal wie bitter: spontane Anschaffungen, steigende Lebenshaltungskosten, fehlende Urlaubsbetreuung. Alles verständlich – aber nichts rechtfertigt das Aussetzen eines Tieres. Die Gesetze in Frankreich sind streng. Bis zu 30.000 Euro Strafe und drei Jahre Gefängnis drohen. Doch wie so oft: Papier ist geduldig, Kontrolle rar, die Konsequenzen meist nicht spürbar.
Besonders dramatisch ist das Schicksal vieler Fundtiere in sogenannten „Fourrières“, den kommunalen Auffangstationen. Zehn Tage haben sie Zeit. Zehn Tage Hoffnung. Dann entscheidet das Schicksal: Einschläferung oder Tierheim. In ländlichen Regionen ist das ein Spiel mit sehr schlechten Karten.
Und Deutschland? Steht kaum besser da.
Auch hier schnellen die Zahlen in den Sommermonaten in die Höhe. Tierheime schlagen Alarm: Mehrere hunderttausend Tiere jährlich, viele davon in den Ferien. Die Geschichten dahinter gleichen sich: Urlaub, der neue Job, die Ferienwohnung, die Scheidung, das Kind, das keine Lust mehr auf den Hamster hat.
Der Unterschied zu Frankreich liegt in der Organisation. Deutsche Tierheime sind meist spendenfinanziert, auf ehrenamtliches Engagement angewiesen – ein Kraftakt zwischen Herzblut und Hilflosigkeit. Doch auch hier stößt das System an seine Grenzen. Plätze sind knapp, Personal überfordert, Tiere traumatisiert.
Und man fragt sich: Wie kann das sein?
Wie kann ein Land, das sich selbst gern als tierlieb bezeichnet, so gleichgültig mit seinen Mitgeschöpfen umgehen? Wie kann ein Urlaub wichtiger sein als das Leben eines Tieres?
Vielleicht liegt die Antwort in unserem Konsumverhalten. Tiere sind verfügbar – online, schnell, unkompliziert. Ein Klick, ein Herzchen, ein neuer Mitbewohner. Dass ein Haustier kein Gadget, sondern ein fühlendes Wesen ist, gerät da leicht in Vergessenheit.
Was fehlt, ist Bewusstsein.
Aufklärung. Konsequenz. Und der Mut, Verantwortung nicht nur zu übernehmen, sondern sie auch zu tragen.
Denn ein Haustier zu halten heißt: Auch im Alltag da sein. Auch in schwierigen Zeiten. Auch, wenn die Ferien locken.
In Frankreich wie in Deutschland ist das Aussetzen eines Tieres keine Lappalie. Es ist ein Akt der Gleichgültigkeit – und oft der Anfang eines langen Leidenswegs. Für die Tiere. Für die Helfer. Für ein System, das schon lange überlastet ist.
Vielleicht ist genau jetzt der Moment, umzudenken.
Bevor der Koffer gepackt wird – überlegen: Wohin mit dem Hund? Wer kümmert sich um die Katze? Habe ich wirklich langfristig Zeit, Geld, Energie für ein Haustier? Fragen, die über Leben und Tod entscheiden können.
Denn der Sommer darf alles sein – nur keine Saison der grausamen Wegwerfmentalität.
Autor: Andreas M. Brucker
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