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Die Migrationspolitik unter Donald Trump erfährt eine Renaissance – nicht mehr durch Schlagzeilen über Grenzmauern, sondern durch leise, aber tiefgreifende strukturelle Veränderungen innerhalb der US-amerikanischen Behördenlandschaft. Die neue Strategie zur Identifizierung und Entfernung von Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus stützt sich in zunehmendem Maße auf die Verknüpfung und Nutzung personenbezogener Daten, die ursprünglich für andere, meist zivile Zwecke erhoben wurden. Dies stellt nicht nur eine technokratische Wende in der Einwanderungspolitik dar, sondern wirft grundlegende Fragen über Datenschutz, staatliche Macht und soziale Gerechtigkeit auf.

Eine Strategie der digitalen Spurensuche

Im Zentrum der Maßnahmen steht das sogenannte Department of Government Efficiency (DOGE), eine neu geschaffene Koordinierungsstelle, die den Datenaustausch zwischen verschiedenen Bundesbehörden vorantreibt. Unter der Ägide von DOGE wird systematisch auf Informationen zurückgegriffen, die ursprünglich in anderen Zusammenhängen erhoben wurden: bei Steuererklärungen, Sozialversicherungsanträgen oder Einschreibungen an öffentlichen Schulen.

Besonders heikel ist die Kooperation mit der Sozialversicherungsbehörde (SSA), die in einem kontroversen Schritt über 6.000, überwiegend lateinamerikanische Migranten als „verstorben“ klassifizierte. Durch die Sperrung ihrer Sozialversicherungsnummern verloren die Betroffenen nicht nur Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch zu medizinischer Versorgung und Altersvorsorge. Diese Maßnahme traf nicht nur Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus, sondern auch US-Bürger mit lateinamerikanischen Namen, die fälschlich identifiziert wurden – ein Hinweis auf die Unschärfen dieser datenbasierten Strategie.

Einbruch in die steuerliche Vertraulichkeit

Ein weiterer Eckpfeiler der neuen Politik ist die Offenlegung steuerlicher Daten. Das US-Finanzministerium schloss dazu eine Vereinbarung mit dem Heimatschutzministerium (DHS), die es erlaubt, Informationen aus Steuerunterlagen an Einwanderungsbehörden weiterzugeben – ein Schritt, der bisher durch gesetzliche Datenschutzgarantien ausgeschlossen war. Diese Praxis steht im direkten Widerspruch zu früheren Zusicherungen, wonach Steuerdaten ausschließlich für fiskalische Zwecke verwendet würden.

Der Protest ließ nicht lange auf sich warten: Die kommissarische Leiterin der Steuerbehörde IRS, Melanie Krause, legte aus Protest gegen die neue Linie ihr Amt nieder. In einem internen Memorandum sprach sie von einem „gefährlichen Präzedenzfall“, der das Vertrauen in die Steuerverwaltung nachhaltig beschädigen könnte.

Auswirkungen auf gemischte Haushalte

Die Politik trifft nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern hat auch spürbare Konsequenzen für sogenannte gemischte Haushalte – Familien, in denen sowohl dokumentierte als auch undokumentierte Personen leben. Das Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung (HUD) arbeitet derzeit an einer Regelung, die solche Haushalte vom Zugang zu subventionierten Wohnprogrammen ausschließen würde. Dies würde insbesondere Kinder von Einwanderern treffen, deren Eltern über keinen regulären Aufenthaltsstatus verfügen.

Ein Bericht der NGO National Low Income Housing Coalition warnt vor sozialen Verwerfungen: Allein in Kalifornien könnten bis zu 50.000 Menschen ihre Wohnung verlieren – viele von ihnen Kinder. Die Abschreckungswirkung ist gewollt: Wer keine legalen Papiere vorweisen kann, soll den öffentlichen Raum möglichst meiden – eine stille Form der Deportation durch Entzug sozialer Infrastruktur.

Vertrauensverlust in staatliche Institutionen

Die Reaktionen auf die Maßnahmen fallen gespalten aus. Während konservative Thinktanks wie das Center for Immigration Studies die Strategie als „effiziente Nutzung bestehender Ressourcen“ loben, warnen Bürgerrechtsorganisationen vor einem fundamentalen Vertrauensverlust. Laut einer Umfrage des Pew Research Center aus dem Januar 2025 geben 62 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund an, dass sie aus Angst vor Datenweitergabe auf medizinische oder soziale Hilfe verzichten würden.

Der Paradigmenwechsel ist offensichtlich: Statt auf sichtbare Maßnahmen wie Massenrazzien setzt die Trump-Administration auf einen bürokratischen, technologisch gestützten Verwaltungsapparat, der Migranten zunehmend aus dem öffentlichen Leben drängt. Die Grenze verläuft nicht mehr nur am Rio Grande, sondern mitten durch die Datenbanken föderaler Behörden.

Internationale Relevanz und rechtliche Grauzonen

Die Entwicklungen in den USA haben das Potenzial, internationale Signalwirkung zu entfalten. Bereits jetzt beobachten Regierungen in Europa und Lateinamerika die US-Praxis mit wachsendem Interesse – insbesondere im Hinblick auf die Frage, wie weit staatliche Stellen gehen dürfen, um migrationspolitische Ziele zu erreichen. In Deutschland etwa warnen Datenschutzbeauftragte vor einer „schleichenden Funktionserweiterung“ staatlicher Register.

Hinzu kommt: Viele der Maßnahmen bewegen sich rechtlich in einer Grauzone. Zwar verfügen Bundesbehörden über weitreichende Spielräume in der Interpretation bestehender Gesetze – doch die gezielte Zweckentfremdung personenbezogener Daten könnte vor dem Supreme Court landen. Erste Klagen sind bereits anhängig, insbesondere im Hinblick auf die Datenweitergabe der Steuerbehörde.

Insgesamt markiert die Strategie der Trump-Administration einen Wendepunkt in der amerikanischen Einwanderungspolitik. Statt sich auf physische Kontrolle zu verlassen, greift der Staat nun auf die digitale Spurensuche zurück – effizient, unsichtbar, und mit weitreichenden Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat.

Autor: MAB

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