Tag & Nacht




In Avignon begann jetzt der lang erwartete Prozess gegen Dominique Pélicot, einen 72-jährigen Rentner aus Mazan, der beschuldigt wird, seine Frau über ein Jahrzehnt hinweg systematisch unter Drogen gesetzt und an fremde Männer ausgeliefert zu haben. Diese Männer, insgesamt 50 Mitangeklagte, stehen ebenfalls vor Gericht – sie alle sind in einem Fall involviert, der durch seine Grausamkeit und seinen Umfang schockiert.

Ein Prozess ohne Ausschluss der Öffentlichkeit

Der Auftakt des Verfahrens zeigte bereits, wie besonders dieser Prozess ist. Mit insgesamt 51 Angeklagten und einer Verhandlungsdauer von vier Monaten ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit groß. Die Verteidigung drängte darauf, das Verfahren hinter verschlossenen Türen durchzuführen. Der Grund? Die Befürchtung, dass die Öffentlichkeit und die Medien einen ungesunden Voyeurismus entwickeln könnten – insbesondere angesichts der Tatsache, dass das Hauptbeweismaterial aus Videos besteht, die die Taten zeigen.

Doch Gisèle Pélicot, Frau und Opfer des Hauptangeklagten, bestand auf einem öffentlichen Verfahren. Sie erschien entschlossen und begleitet von ihren Kindern im Gerichtssaal. Die Botschaft war klar: Sie will die Wahrheit ans Licht bringen und die Scham, die sie lange Zeit belastet hat, auf die Täter übertragen. Nach einer kurzen Beratung entschied das Gericht, das Verfahren öffentlich zu führen.

Die kalte Realität des Verbrechens

Der erste Tag diente vor allem der formalen Eröffnung des Verfahrens. Doch schon diese Einleitung offenbarte die Schwere der Anschuldigungen. Dominique Pélicot, sichtlich gealtert und in einfachem schwarzen T-Shirt, wurde von den Wachen in den Saal geführt. Während der Ermittlungen hatte er bereits eingeräumt, seine Frau über Jahre hinweg mit starken Beruhigungsmitteln wie Temesta betäubt zu haben. Dies tat er nicht nur einmal, sondern insgesamt 92 Mal – und jedes Mal arrangierte er Treffen mit Männern, die er online rekrutierte, um seine Frau zu vergewaltigen.

Pélicots Verteidigerin betonte, dass ihr Mandant „zutiefst beschämt“ über seine Taten sei. Er habe alles gestanden und bereue zutiefst. Doch ist Reue in einem Fall wie diesem genug? Die Anklage und das Opfer sehen das anders – die Taten seien unverzeihlich.

Eine Familie im Zentrum des Sturms

Besonders berührend war der Anblick von Gisèle Pélicot, die von ihren Kindern gestützt und begleitet wurde. Nach vier Jahren Schweigen, seit der Verhaftung ihres Mannes, entschied sie sich, den Prozess öffentlich zu machen. Diese mutige Entscheidung zeugt von ihrem unerschütterlichen Willen, die Wahrheit offenzulegen und den Kampf gegen die eigene Scham zu gewinnen.

„Die Schande muss den Platz wechseln“, sagte einer ihrer Anwälte. In einer von Gewalt und Manipulation geprägten Beziehung war es lange Zeit Gisèle, die sich schuldig fühlte – doch nun, inmitten dieses Prozesses, will sie klarstellen, dass die Täter die Verantwortung tragen.

Eine Stadt unter Schock

Auch außerhalb des Gerichtssaals machen Menschen ihrem Entsetzen Luft. Vor dem Justizpalast in Avignon versammelten sich am Montagmorgen feministische Aktivistinnen. Mit Rufen wie „Violeurs, on vous voit, victimes, on vous croit“ – „Vergewaltiger, wir sehen euch, Opfer, wir glauben euch“ – forderten sie, dass die Angeklagten die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Für sie symbolisiert dieser Prozess nicht nur den Kampf gegen eine schreckliche Tat, sondern auch gegen ein System, das solche Verbrechen überhaupt erst ermöglicht.

Die nächsten Schritte

Der Prozess wird bis Dezember andauern. Jeden Tag werden neue Details und Zeugenaussagen erwartet, die das Bild dieses Albtraums weiter zeichnen. Bereits am Dienstag wird der Präsident des Gerichts den ausführlichen Untersuchungsbericht verlesen – eine düstere Aufgabe, die die Grausamkeit der Taten erneut in den Vordergrund rücken wird.

Gisèle Pélicots Aussage ist für Donnerstag geplant. Die Öffentlichkeit wird den Atem anhalten, während sie ihre Stimme erhebt – eine Stimme, die über Jahre hinweg unterdrückt wurde und nun endlich Gehör findet.

Dieser Fall zeigt auf tragische Weise, wie lange jemand in den Fängen eines Manipulators gefangen sein kann, ohne dass die Außenwelt davon weiß. Der Mut, den es kostet, sich dieser Realität zu stellen und sie öffentlich zu machen, ist schier unermesslich. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die Gerechtigkeit obsiegen wird – aber eins steht fest: Die Wahrheit hat bereits ihren Weg ans Licht gefunden.

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