Tag & Nacht




Was sich im New Yorker Gerichtssaal abspielte, klingt wie das düstere Drehbuch eines Thrillers – doch es ist bittere Realität. Die Sängerin Casandra „Cassie“ Ventura hat ihrem ehemaligen Partner, dem weltbekannten Rapper und Produzenten P. Diddy, schwerwiegende Vorwürfe gemacht, die ein Schlaglicht auf ein zutiefst verstörendes Machtgefälle in ihrer langjährigen Beziehung werfen.

Schon der Beginn ihrer Beziehung wirkte wie aus einer anderen Welt: Ein aufstrebender Popstar, 19 Jahre alt, trifft auf einen 36-jährigen Musikmogul mit schier unbegrenzten Ressourcen und Einfluss in der Branche. Diddy – bürgerlich Sean Combs – nahm sie unter Vertrag bei seinem Label Bad Boy Records. Zehn Alben waren geplant, eines wurde veröffentlicht. Was sich hinter den Kulissen abspielte, sei laut Cassie jedoch ein Albtraum gewesen.

Ein Leben im Schatten des Machtmissbrauchs

Die heute 38-jährige Sängerin trat hochschwanger in den Zeugenstand – ihre Aussagen rüttelten den Saal auf. Mit bebender Stimme beschrieb sie, wie der Mann, der sie gefördert, aber auch kontrolliert und gebrochen habe, sie zu sexuellen Handlungen zwang, bei denen er zusah und sich selbst befriedigte. Dabei handelte es sich nicht um einvernehmliche Treffen, sondern um organisierte „freak-offs“ mit männlichen Prostituierten. Wenn sie sich weigerte, schickte er Bodyguards, um sie „abzuholen“. Wenn sie nicht gehorchte, schlug er sie.

Wie fühlt es sich an, wenn man zu einer Art „Sex-Marionette“ degradiert wird? Cassie beschreibt es mit einem simplen, aber unvergesslichen Satz: „Ich hatte das Gefühl, nur noch dafür gut genug zu sein.“

Das Schweigen einer Gefangenen

Obwohl sie immer wieder davonlaufen wollte, blieb sie. Warum? Die Antwort ist komplex – und tragisch. „Ich konnte mit niemandem darüber reden“, gesteht sie vor Gericht. Der Druck, die Abhängigkeit, die Angst – sie hatten sich wie ein Netz um sie gelegt. Diddy habe sie gedrängt, vor den sexuellen Akten Drogen zu nehmen, damit sie weniger spüre. „Ich war high, also fühlte ich nicht viel“, sagte sie unter Tränen.

Ein erschütternder Satz, der kaum mehr Kommentar braucht.

Ein öffentlich gewordener Albtraum

Besonders schockierend: Im Jahr 2016 wurde eine von zahlreichen gewalttätigen Auseinandersetzungen in einem Hotel in Los Angeles von Überwachungskameras aufgezeichnet. Die stumme, aber brutale Szene wurde CNN zugespielt und vor Gericht mehrfach gezeigt. Cassie ist darauf zu sehen, wie sie Opfer einer gewaltsamen Attacke wird – es ist nur ein Beispiel von vielen, die sich über mehr als ein Jahrzehnt erstrecken sollen.

Diddy hingegen sitzt inmitten dieser Aussagen im Saal – 55 Jahre alt, von seinen Anwälten verteidigt. Er soll sich wegen Menschenhandels, Bestechung, Entführung und Einschüchterung verantworten. Die Anklage hat es in sich. Doch was wiegt schwerer als das Bild einer Frau, die öffentlich schildert, wie sie psychisch und körperlich zerstört wurde?

Vom Popsternchen zur Stimme der Anklage

Cassies Aussagen sind mehr als nur juristische Details – sie sind ein Weckruf. Für viele Frauen (und Männer), die in toxischen Abhängigkeitsverhältnissen gefangen sind. Für eine Branche, die über Jahrzehnte Missbrauch oft gedeckt oder ignoriert hat. Und für eine Gesellschaft, die Machtverhältnisse in Beziehungen häufig nicht kritisch genug hinterfragt.

Denn wer traut sich schon, gegen einen der mächtigsten Männer der Musikindustrie vorzugehen?

Ein Prozess mit Signalwirkung

Noch ist unklar, wie das Verfahren gegen Sean Combs enden wird. Doch der Schaden an seinem Ruf ist gewaltig. Mehrere andere Frauen haben mittlerweile ähnliche Vorwürfe erhoben. Cassie war die erste, die öffentlich den Schritt wagte – und damit womöglich den Damm gebrochen hat.

Ein Prozess, der weit über das Schicksal zweier Menschen hinausgeht. Es geht um Macht, um Kontrolle, um Missbrauch. Und um die Frage, wie viele weitere Opfer sich nun ermutigt fühlen, ihre Geschichten zu erzählen.

Denn wer schweigt, schützt nicht nur den Täter – sondern vergrößert das Leid der Opfer.

Von C. Hatty

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