Ab heute wird in Frankreich nicht nur gescrollt, sondern auch gekauft. TikTok, das soziale Netzwerk, das bislang vor allem für Tanzvideos, Beauty-Tipps und virale Trends stand, startet hierzulande seine Shopping-Funktion: TikTok Shop. Was in den USA, Großbritannien oder Spanien bereits Realität ist, erreicht nun auch Frankreichs 25 Millionen TikTok-Nutzer – und bringt den E-Commerce ins Wanken.
Denn während User künftig direkt in der App shoppen, zahlen und sich Empfehlungen anzeigen lassen, schrillen bei Einzelhändlern und Fachverbänden die Alarmglocken.
Kaufen, ohne nachzudenken?
Im Prinzip funktioniert TikTok Shop wie ein Online-Marktplatz, eingebettet in den endlosen Feed der App. Nutzer können dort gezielt nach Produkten suchen, Rabatte entdecken, Bestellungen verwalten und sich durch interaktive Inhalte zum Kauf verleiten lassen – ohne die App auch nur eine Sekunde zu verlassen. Das klingt praktisch. Vielleicht sogar zu praktisch.
„Die Leute haben dann gar nicht mehr richtig auf dem Schirm, wie viel Geld sie ausgeben“, meint Nicolas Oaolantonachi vom Beratungsunternehmen MC2I. Er warnt vor einem Anstieg an Impulskäufen. Und wer kennt es nicht: Erst ein schneller Klick auf ein vermeintliches Schnäppchen – und später das böse Erwachen beim Blick aufs Konto.
Genau hier liegt die Crux: Die Zahlungsabwicklung läuft komplett über TikTok. Das verschleiert für viele den Bezug zum echten Geld. Besonders junge Nutzer, die sich tagtäglich stundenlang in der App aufhalten, könnten hier den Überblick verlieren.
Shopping trifft Social Media
Für andere wiederum ist genau das der Reiz. Maël, ein junger Mode-Fan, findet es „einfacher, direkt über TikTok zu bestellen“, vor allem wenn es um Produkte kleiner, unabhängiger Marken geht. Und Victoria, 18 Jahre alt und TikTok-süchtig, hat ohnehin schon einen mentalen Einkaufszettel: „Beauty, Fashion, Tech – das wird spannend.“
Kein Wunder, dass TikTok auch aus Influencer-Sicht Goldgrube und Bühne zugleich ist. Wer Produkte empfiehlt, kassiert künftig Provision – ein System, das Verkaufsdruck und Reichweite effektiv kombiniert. Fast schon zu effektiv?
Eine Plattform mit Schattenseiten
Auch wenn Minderjährige keinen Zugang zu den direkten Verkaufslinks bekommen sollen – TikTok betont „proaktive Moderation“ –, bleibt die Sorge groß. Vor allem aus wirtschaftlicher Perspektive.
Viele französische Händler fürchten um ihre Existenz. Die Plattform kommt mit Wucht und ohne Umwege auf den Markt, unterstützt von bekannten Marken wie Cabaïa oder Izipizi. Doch mit der Macht des Mutterkonzerns Bytedance im Rücken spielt TikTok in einer anderen Liga – eine, die lokale Händler kaum mitgehen können.
Einzelhandelsverbände in Frankreich sprechen offen von „unlauterem Wettbewerb“. Gemeinsam mit Temu und Shein wird TikTok Shop nun zu einer Art Dreigestirn des Onlinehandels, das die klassischen Spielregeln ins Wanken bringt. Frankreichs Regierung wurde bereits aufgefordert, „sofortige Maßnahmen“ zum Schutz heimischer Unternehmen zu ergreifen. Der Druck wächst – nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch auf der Straße.
Zwischen Komfort und Kontrollverlust
TikTok Shop ist zweifellos clever. Es vereint Unterhaltung, soziale Interaktion und Kaufanreize auf eine Weise, die herkömmlichen Online-Plattformen den Rang ablaufen könnte. Doch wie weit darf eine App gehen, bis sie mehr schadet als nützt?
Eine Frage, die sich nicht nur Konsumenten, sondern auch Gesellschaft und Gesetzgeber stellen müssen. Denn inmitten von Algorithmus-Magie und Verkaufspsychologie geht manchmal etwas Entscheidendes verloren: die bewusste Kaufentscheidung.
Was, wenn wir irgendwann gar nicht mehr wissen, ob wir gerade unterhalten oder manipuliert werden?
Von C. Hatty
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