Tag & Nacht

Frankreich ist ein Land voller Geschichte. Seine Burgen, Schlösser und Kathedralen erzählen von Jahrhunderten politischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. Doch was passiert, wenn der Zahn der Zeit nicht mehr der einzige Feind dieser Bauwerke ist? Wenn es nicht mehr nur Wind und Regen sind, die Fassaden abtragen, sondern extreme Wetterereignisse, die ganze Strukturen zum Einsturz bringen?

Genau das zeigt sich aktuell am Château d’Amboise. Die imposante Festung in der Loire-Region, einst Residenz von König Franz I. und letzte Ruhestätte von Leonardo da Vinci, steht vor einem ernsten Problem: Eine lange, klaffende Rissbildung in der Mauer, die am 3. Februar entdeckt wurde, bedroht die Stabilität der Anlage. 80 Menschen mussten aus Sicherheitsgründen evakuiert werden, da Teile der Befestigung einsturzgefährdet sind. Eine ganze Straße bleibt nun für mindestens drei Monate gesperrt, während Experten versuchen, das Ausmaß der Schäden zu bewerten.

Extremwetter: Eine unterschätzte Gefahr für historische Bauten

Dass alte Gebäude unter Witterungseinflüssen leiden, ist nichts Neues. Doch was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, ist die Intensität und Häufigkeit dieser Belastungen.

Nehmen wir die zunehmenden Starkregenfälle: Die Mauern vieler Schlösser und Kirchen wurden mit Techniken errichtet, die auf eine relativ konstante Wetterlage ausgerichtet waren. Doch wenn plötzlich sintflutartige Regenfälle niedergehen, die innerhalb weniger Stunden Wassermassen liefern, für die früher Tage nötig gewesen wären, wird es kritisch. Wasser dringt in kleine Risse ein, sammelt sich in Hohlräumen und verursacht Spannungen im Mauerwerk – im Winter kommt dann Frostsprengung dazu, wenn das Wasser gefriert und sich ausdehnt.

Und dann die Trockenheit. Klingt paradox? Ist es aber nicht. Längere Dürreperioden setzen den historischen Fundamenten massiv zu. Vor allem Lehmböden verändern sich, wenn ihnen durch anhaltende Hitze das Wasser entzogen wird – sie schrumpfen, reißen auf und verlieren an Stabilität. Gebäude, die seit Jahrhunderten sicher standen, geraten plötzlich ins Wanken.

Zusätzlich greifen Stürme an. Alte Dächer, die über Jahrhunderte Wind und Wetter getrotzt haben, werden von immer heftigeren Böen getroffen. Gerade in Regionen, die historisch weniger von extremen Stürmen betroffen waren, fehlt oft die bauliche Anpassung an solche Belastungen.

Frankreichs kulturelles Erbe auf der Kippe

Das Château d’Amboise ist kein Einzelfall. Überall in Frankreich mehren sich Berichte über beschädigte oder gefährdete historische Stätten. Ein paar Beispiele gefällig?

  • Die Kathedrale von Beauvais: Schon lange bekannt für ihre fragilen Stützstrukturen, leidet die gotische Kirche zunehmend unter Temperaturschwankungen, die die alten Steine zum Bersten bringen.
  • Das Amphitheater von Arles: Seit der Römerzeit ein Wahrzeichen der Provence, setzt Starkregen dem alten Gestein immer stärker zu und beschleunigt die Erosion.
  • Die Mont-Saint-Michel-Abtei: Der berühmte Klosterberg kämpft mit steigenden Meeresspiegeln und immer heftigeren Stürmen, die seine Fundamente bedrohen.

Frankreich zählt über 45.000 denkmalgeschützte Gebäude. Viele von ihnen stehen heute vor Herausforderungen, die sich die Architekten ihrer Zeit kaum hätten vorstellen können.

Denkmalschutz im Klimawandel – Wie kann man alte Bauwerke retten?

Natürlich kann man historische Monumente nicht einfach umbauen, um sie widerstandsfähiger zu machen – das würde ihren Wert und ihre Authentizität zerstören. Aber es gibt Lösungen.

1. Neue Materialien für alte Bauwerke
Restaurationsarbeiten könnten stärker auf moderne Technologien setzen. Hydrophobe (wasserabweisende) Schutzschichten könnten helfen, das Eindringen von Feuchtigkeit zu minimieren. Gleichzeitig müssen Lösungen gefunden werden, die die Atmungsaktivität der alten Materialien erhalten, damit sich keine Staufeuchtigkeit bildet.

2. Frühwarnsysteme installieren
Warum erst handeln, wenn der Schaden bereits entstanden ist? Moderne Sensoren könnten dabei helfen, gefährliche Veränderungen frühzeitig zu erkennen – etwa durch die kontinuierliche Messung von Rissbildungen oder Feuchtigkeitswerten im Mauerwerk.

3. Klimaanpassung als Teil der Denkmalpflege
Stellen wir uns vor, ein Schlossgarten wird so umgestaltet, dass er als natürliche „Wasserbremse“ funktioniert. Pflanzen, die mehr Wasser aufnehmen können, oder durchlässigere Bodenstrukturen könnten helfen, Wassermassen besser zu regulieren. Gleichzeitig könnte eine kluge Stadtplanung dafür sorgen, dass Überschwemmungsgebiete von historischen Bauten ferngehalten werden.

4. Kulturelles Erbe in Klimaschutzstrategien einbinden
Bislang wird Denkmalschutz in Klimaplänen oft nur am Rande erwähnt. Doch wenn wir unsere Geschichte bewahren wollen, müssen alte Gebäude Teil der Anpassungsstrategien werden – mit gezielten Förderprogrammen und angepassten Schutzmaßnahmen.

Was steht auf dem Spiel?

Wir reden hier nicht nur von alten Steinen. Diese Bauwerke sind ein Teil unserer Identität. Sie erzählen Geschichten, die uns verbinden. Sie sind Zeugnisse einer Zeit, in der Menschen mit vollkommen anderen Mitteln gebaut haben – und trotzdem beeindruckende Architektur schufen.

Wenn wir es nicht schaffen, sie an den Klimawandel anzupassen, dann verlieren wir nicht nur Monumente. Dann verlieren wir Erinnerungen, Kultur, Geschichte. Wollen wir das wirklich riskieren?

Der Fall des Château d’Amboise zeigt deutlich: Wir dürfen nicht erst handeln, wenn der Einsturz droht. Jetzt ist die Zeit, unsere Denkmäler gegen den Klimawandel zu wappnen.

Von Andreas M. Brucker


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