Tag & Nacht


Rive-de-Gier, ein beschaulicher Ort in der französischen Region Auvergne-Rhône-Alpes, kennt den Klang von Regen nur allzu gut. Doch was im Oktober 2024 vom Himmel fiel, hatte wenig mit einem sanften Herbstnieseln zu tun. Wassermassen stürzten in die engen Gassen, mitgerissen wurden Schlamm und Gestein – ein Inferno, das die kleine Gemeinde bis heute nicht loslässt.

Ein Jahr ist vergangen, doch für die Betroffenen ist seither kaum Ruhe eingekehrt. Nicht nur der Wiederaufbau stellt sie vor Herausforderungen – auch die finanziellen Folgen wiegen schwer. Denn mit jedem weiteren Unwetter steigen auch die Kosten, die Versicherte tragen müssen. Und zwar drastisch.


Ein System unter Druck

Frankreich erlebt derzeit, was viele Länder schon spüren: Die Folgen des Klimawandels treffen nicht nur Landschaften, sondern zunehmend auch die Geldbeutel der Menschen. Die Zahl der Naturkatastrophen nimmt zu – und mit ihr die sogenannten „Surprimes“, also Zusatzprämien für Versicherungen.

Wo früher 25 Euro jährlich für die Naturgefahrenversicherung fällig wurden, stehen nun im Schnitt 42 Euro im Jahr auf der Rechnung. Das mag auf den ersten Blick nach einem moderaten Anstieg klingen, doch in Kombination mit deutlich höheren Selbstbeteiligungen – etwa bei Schäden durch Dürre – geraten viele Haushalte finanziell ins Schwanken.

Wer heute durch klimabedingte Trockenheit Risse in den Wänden entdeckt, zahlt nicht mehr 380 Euro Selbstbehalt, sondern viermal so viel: 1.520 Euro. Eine Belastung, die insbesondere jene trifft, die ohnehin nur knapp über die Runden kommen.


„Es ist teuer – aber wir haben keine Wahl“

„Es ist nervig, aber was soll man machen?“, sagt ein Anwohner von Rive-de-Gier. „Mein Haus wurde auch überflutet. Zum Glück hatte ich eine gute Versicherung. Aber genug zahlt sie trotzdem nie.“ Worte, die nach Resignation klingen, und doch die Realität vieler widerspiegeln.

Eine Nachbarin sieht es ähnlich – verständnisvoll, aber auch wütend: „Ich kann das alles nachvollziehen. Aber fair ist das nicht. Schließlich sucht man sich das Wetter nicht aus.“ Der Ärger ist greifbar – und gerechtfertigt.

Denn während das Versicherungssystem auf Solidarität fußt, fühlen sich viele von eben dieser Solidarität ausgeschlossen. Wer mehrfach von Katastrophen heimgesucht wird, bezahlt nicht nur mit Nervenkraft, sondern auch mit steigenden Prämien.


Ein teures Gleichgewicht

Die Versicherer rechtfertigen die Preissteigerungen mit nüchternen Zahlen. Der Anstieg an Schadensfällen, die enormen Baukosten infolge teurer Materialien und die steigende Frequenz extremer Wetterlagen – das alles zwinge zu höheren Beiträgen.

Olivier Moustacakis, Geschäftsführer von Assurland.com, bringt es auf den Punkt: „Die Rechnung geht nicht mehr auf. Die Schadenshäufigkeit, die Summen der Entschädigungen, die explodierenden Materialpreise – für die Versicherten wird das immer kostspieliger.“

Tatsächlich summierten sich die Schäden durch Naturkatastrophen in Frankreich allein in den letzten vier Jahren auf jährlich durchschnittlich sechs Milliarden Euro. Ein Betrag, der das Solidaritätsprinzip der Versicherungen auf eine harte Probe stellt.


Die unsichtbare Rechnung des Klimawandels

Was früher als Ausnahme galt, ist längst zur Regel geworden: Überschwemmungen, Dürren, Hagelstürme, Waldbrände – die Natur kennt keine Pause mehr. Und jede Katastrophe schreibt sich in die Kalkulation der Versicherer ein.

Die Folge: Nicht nur Betroffene, auch all jene, die bislang verschont blieben, zahlen drauf. Denn das System des Risikoausgleichs kennt keine Gnade – es verteilt die Kosten flächendeckend. In diesem Jahr stiegen die Versicherungsprämien im Durchschnitt um zwölf Prozent. Tendenz: weiter steigend.

Dabei trifft es vor allem Hausbesitzer. Wer heute eine Immobilie in risikobehafteter Lage besitzt, steht vor einem Dilemma: Entweder hohe Beiträge und Auflagen in Kauf nehmen – oder die Immobilie aufgeben. Doch wohin zieht man, wenn Extremwetter kein regionales Phänomen mehr ist?


Zwischen Risiko und Realität

Frankreich steht exemplarisch für eine Entwicklung, die ganz Europa betrifft: Die klimatische Zeitenwende macht vor keiner Versicherung Halt. Und auch wenn Politik und Versicherer betonen, man müsse das System stabil halten – die Frage bleibt, wie lange es noch hält.

Denn wenn Versicherungen zu teuer werden, steigen Menschen aus. Wenn sie aber aussteigen, bricht das Fundament der Solidarität weg. Was dann?

Vielleicht, so scheint es, braucht es einen neuen gesellschaftlichen Vertrag für das Zeitalter des Klimawandels – einen, der Prävention stärker belohnt, kollektive Verantwortung ernster nimmt und die Balance zwischen Risiko und Schutz neu austariert.

Solange aber der Regen stärker fällt als der politische Wille, bleibt den Betroffenen nur eines: zahlen.

Autor: C.H.

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