Tag & Nacht


Der Morgen an der Dordogne wirkt friedlich, fast schläfrig, als zöge ein leichter Schleier über dem Wasser die Konturen der Landschaft weich. Und doch – hinter dieser Stille rumort etwas. Ein Konflikt, der seit drei Jahren wächst, flammt erneut auf. Die Fischer sehen ihre Welt kippen, während ein schwarzer Vogel über den Fluss gleitet, der zum Sinnbild ihrer Wut geworden ist.

Der Kormoran, ein geschickter Jäger mit ölglänzendem Gefieder, hat sich zur „bête noire“ der französischen Angler entwickelt. Seitdem die Ligue de protection des oiseaux, die LPO, sämtliche Abschussgenehmigungen gekippt hat, gilt der Vogel wieder als unangreifbare, streng geschützte Art. Doch für viele Fischer fühlt sich dieser Schutz mittlerweile wie ein Würgegriff an.

Ghislain Bataille steht in Gummistiefeln auf einer kleinen, kiesigen Landzunge eines Seitenarms der Dordogne. Er kennt dieses Stück Fluss wie seine Westentasche, hat hier unzählige Stunden verbracht, geangelt, beobachtet, gehofft. Früher war dieser Ort belebt, sagt er, voller Menschen mit Ruten, voller kleiner Rituale des Angelns. Heute herrscht gähnende Leere. Wenn er den Blick hebt, sieht er die Ursache kreisen: große, schwarze Silhouetten gegen das Licht, auf der Suche nach Beute.

Einer davon stürzt plötzlich steil hinab, bricht durch die Wasseroberfläche – eine Bewegung wie ein Dolch, der in eine stille Fläche fährt. Bataille spricht ruhig, aber die Enttäuschung schwingt mit. Ein Kormoran, so erklärt er, frisst rund ein halbes Kilo Fisch pro Tag. Kommen über hundert Tiere zusammen, werden ganze Abschnitte des Flusses leer gefischt. Einmal habe er sogar Fische gesehen, die panisch auf das Ufer zuschwammen, fast schon verzweifelt, als wollten sie aus dem Wasser fliehen. Ein Bild, das sich einprägt. Ein Bild, das die Fischer seit Monaten umtreibt.

Gemeinsam fahren wir weiter zu einem kleinen Teich, wo die gelben Regenjacken der Fischwirte aufflackern wie Signalleuchten. Sie ziehen ihre Bestände aus dem Wasser, doch die Ernte fällt erschütternd aus. Wo sonst eineinhalb Tonnen Fisch zusammenkamen, bleiben jetzt wenige hundert Kilo – der Rest ist beschädigt, verletzt, unbrauchbar. Der Chef der Anlage hält einen 40 Zentimeter langen Fisch in der Hand, einen brochet, durchsetzt von feinen, punktförmigen Kerben. Einschläge eines Kormorans, sagt er. Der Fisch werde das nicht überstehen.

„Il ne nous reste que les yeux pour pleurer“ – uns bleiben nur die Tränen. Der Satz hängt schwer in der Luft, und für einen Moment wirkt es, als schließe er die Kluft zwischen wirtschaftlicher Not und persönlicher Verzweiflung.

Der Konflikt reicht weiter als bis zu diesem Teich. Er zieht sich durch Verbände, Vereine, Behörden. Er entzweit Menschen, die eigentlich dieselbe Leidenschaft teilen: das Leben am Wasser.

Jean-Michel Ravailhe, der Präsident der Fischer in der Dordogne, spricht von einem „extrémisme“ seitens der LPO. Ein Wort, das brennt. Für ihn ist der fehlende Abschuss seit drei Jahren gleichbedeutend mit dem Rückgang der Fischbestände. Besonders der brochet, der Hecht, sei inzwischen gefährdet. Unter der Oberfläche – so Ravailhe – verschwinde ein ganzes Ökosystem, und kaum jemand wolle es wahrhaben.

Ein Satz lässt ihn nicht los: Was unter Wasser geschieht, interessiert kaum jemanden. Vielleicht, weil es unsichtbar bleibt. Vielleicht, weil wir nur selten dorthin blicken, wo die Strömung die Spuren verwischt.

Die LPO wiederum reagiert mit Unverständnis auf die immer lauter werdenden Vorwürfe. Yohan Charbonnier, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Organisation, spricht von einer regelrechten Feindseligkeit, die aus seiner Sicht vollständig unberechtigt sei. Die Fischer verwechselten Ursache und Wirkung, sagt er. Der eigentliche Druck auf die Fischbestände komme von ganz anderen Seiten – invasiven Arten etwa, vom silure, dem Wels, von Arten, die oft sogar für den Freizeitfang ausgesetzt würden.

Dann fällt ein Vergleich, der hängenbleibt: Das Aussetzen von Regenbogenforellen, einer eigentlich fremden Art, gleiche dem Aussetzen von Tigern und Löwen in einer Waldlandschaft, die mit ihnen nichts anfangen kann. Ein drastisches Bild, aber eines, das die Spannungen offenlegt.

Und schließlich, so die LPO, sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Der jüngste Zensus von Februar 2025 zählt 1.488 Kormorane in der Dordogne – weniger als im Jahr 2021, damals, als Abschüsse noch erlaubt waren. Für die LPO zeigt dies, dass sich die Bestände keineswegs explosionsartig vermehren. Für die Fischer hingegen passt die Statistik nicht zu dem, was sie täglich erleben.

Hier prallen Welten aufeinander: die Welt der Daten und die der persönlichen Erfahrung, die der wissenschaftlichen Analyse und die der Männer und Frauen, die täglich am Wasser stehen, das Gewicht eines Fisches in der Hand, den Rhythmus des Flusses im Ohr. Und genau dort, im Zwischenraum dieser Welten, entsteht jener Streit, der längst mehr ist als eine Meinungsverschiedenheit.

Es ist ein Streit um Deutungshoheit, um das Recht, die Natur zu beschreiben – und um die Frage, wie viel Platz ein geschickter schwarzer Vogel in einer Landschaft einnehmen darf, in der so viele Interessen zusammenlaufen.

Vielleicht lässt sich dieser Konflikt nur lösen, wenn beide Seiten wieder miteinander sprechen, ohne dass jedes Wort wie ein Geschoss wirkt. Denn der Fluss, so leise er auch wirkt, erzählt immer zwei Geschichten: die des Lebens über und die des Lebens unter der Wasseroberfläche. Erst wenn beide gehört werden, entsteht ein Bild, das trägt.

Autor: Daniel Ivers

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