Die ersten Bilder erreichen einen oft früher als die offiziellen Warnungen. Braune Wassermassen, ein heiseres Rauschen, das jede andere Geräuschkulisse verschluckt, und Menschen, die mit schnellen, beinahe reflexhaften Handgriffen versuchen, dem Unvermeidbaren zuvorzukommen. Im Hérault ist dieser Moment längst eingetreten. Noch bevor die Behörden ihre Meldungen verschärften, bevor der Begriff „vigilance orange“ wieder durch die Nachrichtenticker lief, stand das Wasser schon an Türen, Mauern, in Straßen. Und manchmal auch darüber.
Sieben Départements im Süden Frankreichs sind in der Nacht zum Montag unter erhöhte Beobachtung gestellt worden – ein nüchterner Satz, der jedoch für Tausende bedeutet, dass sie kaum schlafen, sondern wachen, lauschen, sichern, hoffen. Die Wetterdienste sehen ein verstärktes Regenband, das sich über die Region gelegt hat wie ein drückender Mantel. In den Cévennes fiel seit Samstag so viel Niederschlag, dass mehrere Wochen üblichen Winterregens in nur 48 Stunden vom Himmel stürzten. 309 Liter in Les Plans, 301 in Saint-Maurice-Navacelles, 297 am Mont Aigoual – Zahlen, die auf dem Papier trocken wirken, draußen aber jede Region, jeden Hang, jedes Bachbett verändern.
In Laroque, einer kleinen Gemeinde im Hérault, hat die Natur die Grenze zwischen Fluss und Straße aufgehoben. Die Vis – sonst ein friedlicher, klarer Fluss – steigt auf mehr als acht Meter. Gendarmen sperren die Zufahrt zum Dorf ab, und wer neben ihnen steht, versteht sofort, warum. Das Wasser brodelt, als hätte jemand einen gigantischen Kochtopf unter dem Flussbett angeworfen. Es drängt vorwärts, schwappt gegen Ufermauern, drückt an Böschungen, reißt kleine Äste, Schlamm und alles mit, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen ließ.
Manche versuchen trotzdem, dieser Kraft etwas entgegenzustellen. Ein Restaurant im Ort musste überstürzt schließen. Tische, Polster, Kassen, Maschinen – alles, was nicht festgeschraubt war, wanderte in ein höher gelegenes Stockwerk. „Wir haben alles hochgetragen, was wir retten konnten“, sagt Mathieu Alonghi, der Inhaber, mit einem Blick, der zwischen Müdigkeit und stiller Entschlossenheit schwankt. „Wenn das Wasser erst einmal kommt, kann man nichts mehr tun.“ Ein Satz, der klingt wie eine Lebensweisheit der Region, die im Winter und Frühjahr häufiger mit Hochwasser zu kämpfen hat. Doch diesmal wirkt er wie eine erschöpfte, fast trotzige Feststellung.
Wer ein paar Kilometer weiter in die Weinberge fährt, erlebt eine andere Szene – stiller vielleicht, aber nicht weniger eindringlich. Sabine de Virieu steht am Rand ihrer Parzellen, und ihr Blick verrät, dass sie noch nicht entschieden hat, ob sie fluchen oder lachen soll, um die Absurdität des Moments zu fassen. Das Wasser steht zwischen den Reihen, als hätte jemand einen Spiegel ausgelegt. Alte Reben ragen noch aus der braunen Fläche heraus, hoch genug, um dem Strom die Stirn zu bieten. Die jungen – „les bébés“, wie sie sagt – sind unsichtbar, geschluckt von der Flut. „Arbeiten können wir hier überhaupt nicht mehr. Mindestens ein Monat Pause, wenn wir Glück haben.“ Man spürt, wie sehr diese Felder für sie mehr sind als ein Betrieb. Es sind Erinnerungen, Ernten, Hoffnungen, ein Stück Identität. Und jetzt eben: ein See.
Die Wetterdienste halten die Warnstufe Orange mindestens bis Montag aufrecht. Das heißt nicht automatisch, dass alles schlimmer wird – aber es bedeutet, dass alles möglich bleibt. In einer Region, die immer wieder mit plötzlich anschwellenden Flüssen zu tun hat, wirken solche Meldungen wie ein ständiger Weckruf. Wer hier lebt, kennt die Regeln: Die Natur lässt sich nicht beschwichtigen, sie muss ernst genommen werden. Und wenn sie einmal in Fahrt kommt, ist Vorsicht kein Zeichen von Angst, sondern von Vernunft.
Das Faszinierende – und zugleich Erschütternde – an solchen Ereignissen ist die Geschwindigkeit, mit der sich der Alltag verwandelt. Morgens noch Frühstück auf der Terrasse, abends Sandsäcke, um die Haustür zu schützen. In Gesprächen mit Anwohnern taucht immer wieder ein ähnlicher Satz auf: „On n’a plus de prise.“ Wir haben keinen Halt mehr, keine Kontrolle. Doch zwischen diesen Momenten der Ohnmacht blitzen auch Szenen von Pragmatismus und Solidarität auf: Nachbarn, die einander helfen; Feuerwehrleute, die bis zur Erschöpfung arbeiten; Landwirte, die nicht über Verluste sprechen, sondern über das, was noch zu retten ist.
Vielleicht liegt genau darin die bemerkenswerte Widerstandskraft der Region. Die Menschen hier wissen, dass das Wasser wieder weichen wird. Dass die Böden sich erholen, die Weinreben neu austreiben, die Flüsse wieder klarer fließen. Aber sie wissen ebenso, dass jede Überschwemmung eine Zäsur ist. Ein Erinnerungsanker. Ein Moment, in dem man innehält und sich wieder bewusst macht, wie schnell Vertrautes brüchig werden kann.
Wenn der Himmel aufreißt – und das wird er – bleibt nicht nur der Schlamm zurück. Sondern auch dieser stille Respekt vor der Natur, die mit einer Hand zerstört und mit der anderen die Grundlage für vieles schafft. Für Winzer, Gastronomen, Familien. Für ein Leben zwischen Bergen, Meer und Flüssen. Für eine Landschaft, die immer wieder zeigt, dass Schönheit und Gefahr manchmal nah beieinanderliegen.
Autor: C.H.
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