Sie pfeift, sie kuschelt, sie gräbt – und sie ist das inoffizielle Maskottchen der französischen Alpen. Die Alpenmarmotte, das Alpenmurmeltier, ein putziger Bewohner der Hochgebirge, hat sich tief ins Herz vieler Wanderer geschlichen. Doch was viele nicht wissen: Hinter der dicken Wuschel-Fassade steckt ein sensibles Wildtier, das zunehmend unter dem Einfluss menschlicher Neugier leidet.
Und genau hier liegt das Problem.
Die stille Heldin der Berge
Zwischen 800 und 3.000 Metern Höhe lebt die Marmota marmota in den französischen Alpen und seit ihrer erfolgreichen Wiederansiedlung 1948 auch in den Pyrenäen. Dort übernimmt sie eine Schlüsselrolle im ökologischen Gefüge. Durch ihr Fressen hält sie Pflanzenarten in Schach und begünstigt damit die Artenvielfalt. Ihre weitverzweigten Baue lockern den Boden auf – eine Art natürliche Belüftungsanlage für die Erde.
Ein stiller Dienst an der Natur. Doch einer, der gefährdet ist.
Denn seit den 1990er-Jahren geht es den Alpenmurmeltieren nicht mehr so gut. Klimatische Veränderungen setzen ihnen zu – und auch wir Menschen tragen ungewollt unseren Teil bei.
Wenn der Winter nicht mehr schützt
Der Klimawandel hat eine Botschaft: Weniger Schnee bedeutet weniger Isolation. Ohne die schützende Schneedecke verlieren Alpenmurmeltier im Winter ihre wichtigste Lebensversicherung. Die Temperaturen in ihren Bauen sinken, das Überleben während der monatelangen Hibernation wird riskanter.
Besonders betroffen sind die Weibchen. Sie erwachen im Frühling oft unterernährt aus dem Winterschlaf – zu geschwächt, um sich erfolgreich zu paaren. Und so bleibt der Nachwuchs aus. Eine schleichende Krise.
Zwischen Instagram und Irrsinn
Die zweite Bedrohung ist hausgemacht – und sie trägt Wanderschuhe, Selfiestick und Müsliriegel.
In beliebten Regionen wie Mont-Dauphin im Département Hautes-Alpes sind Alpenmurmeltiere längst zur Touristenattraktion geworden. Was als idyllisches Naturerlebnis beginnt, endet oft mit schwerwiegenden Störungen: Besucher füttern die Tiere mit Brot oder Keksen, nähern sich ihnen für das perfekte Foto oder lassen ihre Hunde frei herumtollen.
Die Folge? Verdauungsprobleme, Verlust der natürlichen Scheu, erhöhter Stress. Ein Tier, das den Menschen nicht mehr fürchtet, ist leichte Beute für echte Fressfeinde. Oder schlicht überfordert mit dem Trubel.
Und jetzt Hand aufs Herz: Muss man wirklich so nah ran?
Weniger Nähe, mehr Verantwortung
Die gute Nachricht: Es braucht kein Verbot, keine Zäune, keine Schilderflut. Ein paar einfache Verhaltensregeln reichen schon, um die Koexistenz von Mensch und Murmeltier gelassener zu gestalten.
Erstens: Abstand halten – mindestens zehn Meter sollten es sein. Zweitens: Hände weg vom Futterbeutel. Drittens: Ruhe bewahren. Und viertens – ganz wichtig – Hunde an die Leine.
Wer sich daran hält, wird belohnt: mit dem Anblick eines gesunden, lebendigen Tieres in seinem natürlichen Verhalten. Und mit dem guten Gefühl, nicht Teil des Problems zu sein.
In vielen französischen Bergregionen gibt es mittlerweile auch Schulprojekte und Informationsangebote in Tourismusbüros. Kleine Aufklärung mit großer Wirkung.
Zwischen Schutz und Schlapphut
Kurios, aber wahr: Obwohl die Alpenmarmotte ein Symbol der Bergwelt ist, steht sie in Frankreich nicht flächendeckend unter Schutz. In manchen Départements darf sie noch immer gejagt werden – ein Relikt aus vergangenen Zeiten, das zunehmend auf Widerstand stößt.
Tierschutzorganisationen fordern ein generelles Verbot. Und das aus gutem Grund. Denn wer einer bedrohten Art nachstellt, handelt nicht aus Tradition – sondern gegen jede Vernunft. Die Zeit der Jagd auf Alpenmurmeltiere sollte vorbei sein.
Mehr als nur ein niedliches Gesicht
Sie ist klein, rund und irgendwie immer ein bisschen verschlafen. Doch unterschätzen sollte man sie nicht. Die Marmotte ist ein stiller Wächter der Hochgebirge, ein ökologischer Teamplayer – und ein Prüfstein für unseren Umgang mit der Natur.
Ob sie auch in Zukunft über die Almen pfeifen wird, hängt nicht allein vom Wetter ab. Sondern von uns allen. Denn wer die Berge liebt, sollte auch ihre Bewohner achten.
Und vielleicht genügt manchmal schon ein Schritt zurück – um einem Tier den Raum zu lassen, den es verdient.
Autor: C.H.
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