Tag & Nacht


Ein Dezembermorgen in den Bergen. Früher knirschte der Schnee unter den Schuhen, heute klingt es eher nach feuchtem Kies. Die Gondel schwebt trotzdem talwärts, routiniert, fast trotzig. Und irgendwo zwischen Bergstation und Tal fragt man sich leise: Wie viele Winter bleiben uns eigentlich noch zum Skifahren?

Der Rückgang der ski­baren Tage bis 2050 wirkt nicht wie eine ferne Zukunftsprognose. Er fühlt sich an wie eine Geschichte, die längst begonnen hat – nur lesen wir gerade erst die ersten Kapitel.


Der Winter verliert an Länge – und an Verlässlichkeit

Der Klimawandel wedelt nicht mit Warnschildern. Er zeigt sich subtil. Mal öffnet eine Ski-Station erst zwei Wochen später. Mal endet die Saison schon, obwohl der Kalender noch Februar zeigt.

In vielen Skigebieten Europas schrumpfen die Winter still zusammen – wie ein Pullover, der zu heiß gewaschen wurde. Besonders betroffen sind Lagen unter 2.000 Metern. Dort, wo früher monatelang Schnee lag, regnet es heute öfter als den Betreibern lieb ist.



Studien von INRAE und Météo-France zeichnen ein Bild, das nüchtern wirkt und gerade deshalb unter die Haut geht. Bis 2050 steigen die Durchschnittstemperaturen in vielen Gebirgsregionen Frankreichs um rund 2,5 bis 3 Grad.

Klingt harmlos? Ist es nicht.

Denn Schnee reagiert empfindlich. Schon ein einziges Grad entscheidet, ob Flocken fallen oder Regen.


Heute schon spürbar – nicht erst morgen

Wer in den letzten Jahren regelmäßig Ski gefahren ist, kennt das Gefühl. Die Saisonstarts verschieben sich. Weihnachten ohne Naturschnee? Früher undenkbar, heute fast normal.

In den USA verloren Skigebiete zwischen 2000 und 2019 im Schnitt fünf bis sieben Skitage pro Saison. Keine Katastrophe auf den ersten Blick. Doch Prognosen zeigen: Diese Zahl verdoppelt oder verdreifacht sich bis 2050.

Und Europa? Kein Sonderfall. Im Gegenteil.


Die Pyrenäen als Seismograf des Wandels

Nehmen wir den Col du Tourmalet. Ein Name, der nach Schnee, Radsport und Hochgebirge klingt. Auf rund 1900 Metern Höhe gelegen, galt das Gebiet lange als relativ schneesicher.

Galt.

Ende des 20. Jahrhunderts kamen in guten Wintern rund 150 ski­bare Tage zusammen. Eine solide Basis für Tourismus, Jobs, Dorfleben.

Mit einem Temperaturanstieg von etwa 2,7 Grad reduziert sich diese Zahl laut Modellen bis 2050 auf rund 116 Tage – inklusive künstlicher Beschneiung. Ohne Schneekanonen sähe es deutlich düsterer aus.

116 Tage. Klingt immer noch nach viel? Rechnen wir kurz: spätere Eröffnung, früheres Saisonende, dazwischen immer häufiger Unterbrechungen. Planbarkeit? Schwierig. Wirtschaftlichkeit? Wacklig.

Und jetzt ehrlich: Wer bucht gern einen Skiurlaub, wenn niemand weiß, ob die Pisten offen sind?


Kunstschnee – Rettungsanker mit Nebenwirkungen

Die Schneekanone ist zum Symbol geworden. Sie steht für Anpassung, Technik, Durchhaltewillen. Aber auch für Zielkonflikte.

Kunstschnee braucht Kälte. Und Wasser. Beides wird knapper. Die sogenannten Kältefenster, in denen Beschneiung technisch sinnvoll ist, verkürzen sich.

Das Paradoxe daran: Gerade in milden Wintern, wenn man Kunstschnee besonders dringend braucht, funktioniert er am schlechtesten.

Ein bisschen wie ein Regenschirm, der sich erst öffnet, wenn die Sonne scheint.


Der Blick über den Alpenrand hinaus

Internationale Studien zeigen ein klares Muster. Weltweit verlieren Skigebiete an Saisonlänge. Manche um 30 Prozent, andere um 50. In einzelnen Regionen sogar noch mehr.

Selbst bei Einhaltung der Klimaziele des Pariser Abkommens schrumpfen die Saisons messbar. Der Unterschied liegt im Tempo und in der Härte des Einschnitts.

Weniger Emissionen bedeuten keine Rettung – aber Zeit. Und Zeit ist in den Bergen plötzlich eine knappe Währung.


Mehr als ein Freizeitproblem

Skifahren ist kein isoliertes Hobby. Es ist ein Wirtschaftsmotor, ein Identitätsanker, ein sozialer Kitt.

Wenn die Saison kürzer wird, leidet nicht nur der Liftbetreiber. Dann fehlen Übernachtungen. Restaurantbesuche. Saisonjobs. Ausbildungsplätze.

Ganze Täler hängen am Wintertourismus. Und plötzlich steht da diese Frage im Raum, die niemand gern stellt: Wie geht es weiter?

Manche Orte reagieren bereits. Andere zögern. Verständlich – Veränderung fühlt sich selten bequem an.


Diversifikation: Keine Kür, sondern Pflicht

Viele Regionen setzen inzwischen auf ein breiteres Angebot. Winterwandern, Thermalbäder, Kultur, Kulinarik, Sommeraktivitäten.

Das klingt vernünftig. Und ist es auch. Aber es ersetzt nicht von heute auf morgen die Einnahmen des Skitourismus.

Ein Hotel lebt anders von Wanderern als von Skiurlaubern. Die Wertschöpfung verschiebt sich. Langsamer. Kleinteiliger.

Und trotzdem bleibt sie eine echte Chance.


Zwischen Nostalgie und Neuanfang

Vielleicht ist das die größte Herausforderung: Abschied nehmen von einem Bild, das tief sitzt. Der Winter wie früher. Verlässlich. Weiß. Still.

Doch die Berge verändern sich. Nicht über Nacht, sondern Schritt für Schritt.

Halten wir an der Vergangenheit fest – oder gestalten wir die Zukunft bewusst?

Diese Frage schwebt über jedem Tal, jeder Gemeinderatssitzung, jedem Investorengespräch.


Anpassung statt Wegschauen

Technische Innovationen helfen. Bessere Schneespeicherung, effizientere Beschneiung, klügere Pistenplanung.

Doch Technik allein trägt nicht alles. Sie kauft Zeit, mehr nicht.

Langfristig entscheidet der globale Klimapfad darüber, wie hart der Einschnitt ausfällt. Jedes vermiedene Zehntelgrad zählt – auch wenn es abstrakt klingt.

In den Bergen wird es greifbar. Sehr greifbar.


Ein Winter, der Geschichten erzählt

Vielleicht erzählen zukünftige Winter andere Geschichten. Weniger von endlosen Abfahrten. Mehr von Vielfalt. Von bewussterem Reisen. Von Orten, die sich neu erfunden haben.

Der Schnee verschwindet nicht vollständig. Aber er wird kostbarer. Flüchtiger. Unberechenbarer.

Und vielleicht liegt genau darin eine neue Ehrlichkeit. Der Winter zeigt uns, was auf dem Spiel steht – ohne große Worte, einfach durch sein Ausbleiben.

Der Rückgang der ski­baren Tage bis 2050 ist keine ferne Warnung, sondern ein laufender Prozess. Wer heute in die Berge schaut, sieht bereits die Umrisse der Zukunft.

Und die Frage bleibt, leise aber hartnäckig: Was machen wir daraus?

Ein Artikel von M. Legrand

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